Ausgabe 210 | Seite 1 24. Juli 2011 AD
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Seyd gegrüßt, werte Bürgerinnen und Bürger

Eine alte Liebe entflammt neu

Das Sommerloch rückt näher, je weiter sich der Sommer selbst zu verabschieden droht.
Angesichts des derzeitigen Wetters ist die Sehnsucht nach Sonne, Wärme, Meer und Strand riesig.
Die vom Volksglauben missbrauchten Siebenschläfer lassen sich berechtigterweise praktisch gar nicht mehr blicken, da sie des Volkes Zorn fürchten und sonst wohl unter Massen von ausgebürsteten Volks-Zahnbürsten begraben lägen.

Allerorten werden Rucksäcke geschnürt, Koffer gepackt, Haustiere ausgesetzt und Kinder zu plötzlich nützlichen Verwandten abgeschoben. Nun kann man von Kindern bekanntlich halten, was man möchte.
Dennoch muss ein jeder noch so verblendeter Kinderbesitzer eingestehen, dass es schlicht keine verlässlichere Methode gibt, nen freien Tag oder gar Urlaub in Arbeit oder anderes Erholungsfernes ausarten zu lassen.

So weilte ich beispielsweise letzten Montag gemeinsam mit der Herzensdame erstmals im Zür´cher Zoo, grundsätzlich ne feine Sache. Allerdings sahen wir von den Tieren herzlich wenig, da durch die Massen von Kinderwagen aller Bauarten und Coloeur kaum ein Durchkommen war.
Ständig fuhr einem so ein tiefergelegter, mit Barrikadenbrechern versehener Kreischkinderwohnwagen in die Hacken. Wobei die genervten Elten sich obendrein noch ereiferten, wenn man sie, mit Blick auf die schreienden Kackmaschinen, darauf hinwies, dass die Tiger gewiss hungrig seien.

Aber damit nicht genug, hatte man sich schließlich mal nen Platz weiter vorne erkämpft, um letztlich auch nen Blick auf Tiger, Löwe und Co. zu erhaschen, währte die Freude darüber nicht lange.
Rasch wieder nen verdammten Kinderwagen in den Hacken, bevor die verfluchten Kinderlosen ihren Ausflug genießen, mögen so manche genervte Eltern denken. Oder so ein vollgesabbertes, vor Gott weiß was triefendes Etwas vorgeschickt, welches einem das Hosenbein volltappert, weil es vorbei möchte, während das Eis in dessen Händen in der Sonne schillernd schmilzt und einem auf die Schuhe tropft.
Sekunden später tauchen dann auch die Ameisen auf, welche hektisch hin und her eilen, da selbst diese so unzähligen Tierchen es nicht schaffen, all die zu Boden gefallenen Leckereien abzutransportieren.

Entnervt gibt man auf und bahnt sich, unter den einzigen amüsierten Blicken der Eltern dieses Tages, einen Weg durch den Kinderwagenirrgarten. Voll der Hoffnung, doch noch irgendwo in diesem wahrlich weitläufigen Zoo eine ruhige Ecke zu finden.
Auf den Wegen selbst ist man gezwungen, den Horden an kleinen, ständig kreischenden und umfallenden Biestern auszuweichen.
Diese, so unfähig sie ansonsten zu allem sind, doch irgendwie die Meinung vertreten, die Welt gehöre ihnen und alles habe ihnen aus dem Weg zu gehen.

Bei dieser Flut an Teppichratten hilft dann nicht mal der bei Erwachsenen so erfolgreich praktizierte grimmige Blick, welcher allen andren verdeutlicht, dass man selbst nicht im geringsten daran denkt, auszuweichen. Das bringt bei Kindern nix, im Gegenteil!
Die kommen gar in Massen näher, weil sie meinen, man möchte spielen oder man könne ihnen ja für nix böse sein, weil sie ja achso niedlich seien.
KANN MAN WOHL, HERRSCHAFTSZEITEN NOCHMAL!
Herzlichen Dank ihr Mutties, die ihr beim Anblick eines jeden sich selbst besudelnden Kindes in allerhöchste Verzückung geratet.

Dennoch kämpft man sich weiter, angetrieben von diesem einen Punkt der Ruhe und Beschaulichkeit, den es hier doch irgendwo geben muss. Wer nun denkt....NEIN, die Toiletten sind es sicher nicht.
Ein Picknicktisch abseits der Spielplätze ist es sicher auch nicht, da dort, so sicher wie das Amen in der Kirche, stets eine Mami gerade eine Windel wechselt oder andere den Muttertieren vorbehaltene Rituale vollzieht.
Also weiter, vorbei an den mongolischen Wölfen, schade drum, versucht man sein Glück bei den Tigern.
Hat sich was von Glück, doch mit einiger Ausdauer erkämpft man sich sukzessive einen Platz ganz vorne, selbst der Tiger erbarmt sich und lässt sich blicken, indem er mit seinen riesigen Pranken nach einem alten Autoreifen im Wasser fischt.
Herrlich, irgendwann ist man bekanntlich für fast alles dankbar. wobei der Anblick eines Tigers, der sogar noch selbstpersönlich seine unter Asiaten so begehrten Hoden trägt, wirklich viel wert ist.
Doch just in diesem Moment kommt Jan-Phillip-Oliver. Unvermindert schwebt er von hinten engelsgleich ins Blickfeld, woraufhin die beruhigende Szenerie eines spielenden Tigers dem verdreckten Hosenboden Jan-Phillip-Olivers weicht.

Jan-Phillips-Olivers Pädagogen-Eltern vertreten nämlich die Meinung, ihr sabberndes Gör habe ein Anrecht auf den besten Platz. So halten sie das Kind mit ausgestreckten Armen nach vorne in die Menge. Jan-Phillip-Oliver war etwa 6 Monate alt und interessierte sich nen Scheiß für den Tiger, da er vollauf mit seinen Körperflüssigkeiten beschäftigt war.
"Schau die Katze, Jan-Phillip-Oliver. Schau was sie macht, Jan-Phillip-Oliver. Ist das nicht toll, Jan-Phillip-Oliver...." usw usw.
Wenn sie nicht gestorben ist, dann Jan-Phillip-Olivert die Mama heute noch... Ungelogen sprach die Tante gefühlte 35mal den vollen Namen während zweier Minuten aus. Wobei ich keine Wetten darauf abschließen möchte, dass Jan-Phillip-Oliver Jan-Phillip-Olivers gänzliche Vornamen waren, wenn man sich seine pseudointellektuellen Elten so besah.
Seiner Begeisterung über so viel Aufmerksamkeit verlieh Jan-Phillip-Oliver dadurch Ausdruck, dass er von oben herab so ganz und gar nicht intellektuell in die Menge strullerte.

Bloß weg hier und hinein ins Affenhaus zu den Gorillas, also wirklichen Affen. Dort sind natürlich die Heerscharen ebenfalls längst versammelt, krabbeln durchs Bodenstreu, plärren weil sie sich selbstverständlich Splitter ziehen usw. Den Affen ist´s schon längst zuviel, oder nur an diesem Tag, man weiß es nicht, sie drehen der sie umgebenden Umwelt jedenfalls überwiegend den Rücken zu. Richtig so, man wünschte beinahe, man säße selbst auch irgendwo hinter schall- und sabbersicherem Glas.

Wieder raus und weiter durch den Zoo geirrt. Mittlerweile waren gut vier Stunden vorüber, es war knapp 16Uhr, doch der Andrang war unvermindert. Selbst wenn man vor einem Gehege stand, in welchem sich offensichtlich nichts befand, da es gerade erst aufgebaut wurde, umstanden einen sofort fragende Kinder.
Denen singt man dann fröhlich ein Lied des Krümelmonsters aus der Sesamstraße vor: "Now, what starts with the letter C? Cookie starts with C. Let´s think of other things that starts with C...arrrr...who cares about other things. C is for cookie that´s good enough for me..." Zurück bleiben verstört dreinblickende Kinder und baffe Eltern.

Also den Berg hinab, vorbei an Antilopen und anderen Hornträger, gelangt man zu den Schildkröten, welche man, da es sich um kleine Schildkröten handelte, natürlich nicht sah hinter all den Kinderwagen, Kindern, Muttis, Omis und Opis. Überall fragende Kinder, überall die gleiche Antwort von der Omi: "Du musst lauter reden, Liebes, der Opa hört doch so schlecht..."

Nur weg von den Schildkröten, da ums Eck rum, die Stufen hoch, da ist...niemand! Unglaublich, aber wahr, NIEMAND!
Einzig ein intensiv dreinstarrender Schuhschnabel fixiert einen mit starrem Blick durchs grüne Gitter. Aber sonst keine Menschenseele. Ich liebe Schuhschnäbel, nicht erst seit diesem Moment.
Aber die alte Liebe flammte stark auf in diesem Moment der Ruhe. Da saßen wir drei nun, ganz vertieft in das andächtig, stille Starrduell mit dem Schuhschnabel.
Dieser, im arabischen Abu Markub (= Vater des Schuhs) genannte, afrikanische Vogel, der aufrecht stehend rund 1,20m groß ist, saß zusammengekauert im Gras und ist der unumstrittene König des Starrens. Seine grauen Augen fixieren und taxieren ohne Blinzeln, dabei wirkt er wie eine strenge Lehrerin mit festem Haarknoten aus den 50ern.

Nur ein Kind kam mit seiner Mami des Weges, vergrub sich aber rasch in deren Rock, da es sich vor dem Blick des Vogels fürchtete. So saßen wir gut 20 Minuten vor dem Vogel, spielten mittels eines Stockes mit ihm, da er versuchte, diesen mit seinem riesigen Schnabel zu erwischen.
Mit der Welt versöhnt, verließen wir im Anschluß rasch den Zoo, ungeachtet all der Kinder, welche uns bis zum und auch nach dem Ausgang noch vor die Füße laufen sollten.

Wir wissen nicht, ob es im Zür´cher Zoo immer derart vor Kindern wimmelt, oder ob wir einfach nur nen schlechten Tag erwischt hatten. Wie dem auch sei, ich lege dem Zoodirektor hiermit wärmstens ans Herz, dass er doch über wenigstens einen kinderfreien Tag in der Woche nachdenken möge.
Ich bin mir sicher, dies würde zumindest unter den kinderlosen Paaren usw riesigen Anklang finden und die Tiere würden es ihm wahrscheinlich auch danken. Einen Tag ohne permanentes Gekreische, Gehämmere an die Scheiben und diese Dinge.
Was für den dortigen Pfau natürlich einen Tag ohne Popcorn, Gummibärchen und was Kindern sonst noch so runterfällt, bedeutet.
Folglich, Glückwunsch allen freiwillig Kinderlosen, eine vorzügliche Entscheidung!

Etwas zweites entflammte dieser Tage noch.
Der zweite Glückwunsch richtet sich daher an alle Mitglieder der OoO, deren Mitglied ich selbst ja auch bin, zur Errichtung des ersten Weltwunders in Welt 4! Möge es noch einige Zeit das einzige seiner Art sein. Vielen Dank euch allen und höchste Anerkennung für eure Ausdauer und Inbrunst.
Entgegen dem ansonsten in Deutschland gebräuchlichen System, bei welchem diejenigen viel bezahlen, die wenig haben, waren wir so freundlich dass ganze auf den Kopf zu stellen. Schließlich ist dies nur ein Spiel und hat mit der Realität wenig zu tun. Daher bezahlten bei uns die Großen und Reichen freiwillig mehr, als die noch nicht so Großen und Reichen, damit diese es ihnen möglichst bald nachtun können.

Einen schönen Sonntag

© Singularis Porcus


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