Eine kleine Waffenkunde XII
6. Wandel der Taktik mit Einführung der Feuerwaffen
DDie grundlegende Taktik im Mittelalter war die massive Verstärkung der Defensivwaffen, nicht nur die der Ritter sondern auch der Städte mit Türmen und Mauern. Dagegen waren die Infrastruktur und auch die Versorgungslage so schlecht, dass größere Heere nur mit Mühe zu bewegen und zu versorgen waren. Die Schwerfälligkeit der Ritterheere besiegelte letztendlich auch ihr Schicksal: Bei Kortrijk oder Hemmingstedt versanken Ritterheere buchstäblich im Morast und wurden von leichtbewaffneten Fußsoldaten bzw. Dithmarscher Bauern besiegt. Leichte aber effektive Waffen wie die Hellebarde der Schweizer haben, gut geführt, österreichische Ritter auf den Boden der Tatsachen geholt.
Abb.: Schlacht bei Sempach 1368 (modernes Gemälde) - Schweizer Fußtruppen besiegten ein Habsburger Ritterheer
Mit Einführung der Feuerwaffen änderte sich an den probaten Taktiken zunächst weniger, als man denken möchte. Das lag aber vornehmlich an der Unzulänglichkeit der ersten Feuertöpfe, die außer einer vielleicht anfangs vorhandenen psychologischen Wirkung keine effektive hatten. Bei der Belagerung von Orleans 1428/29 spielten Kanonen erstmals eine bedeutende Rolle und die erste von Kanonen entschiedene Schlacht fand 1450 bei Formigny statt. Für gewöhnlich griffen die Franzosen stets mit Kavallerie die Mitte der englischen Linien an und wurde von den flankierend postierten Langbogenschützen mit einem Pfeilhagel überschüttet. Diesmal änderten die Franzosen ihre Taktik und schickten statt der Reiter Kanonenkugeln aus den Feldschlangen los. Dieser Hagel war weit effektiver und die Engländer verloren mangels Masse noch lebender Soldaten die Schlacht.
Abb.: Belagerung von Orleans 1428 - Im Vordergrund der Einsatz riesiger Belagerungsgeschütze
Jan Ziska, einer der Hussitenführer und genialer Taktiker, setzte erstmals auf Karren montierte, sehr mobile Feldgeschütze ein und mit Bogenschützen und Arkebusieren bemannte, gepanzerten Wagen. In 14 Jahren gewann er so 50 kleine und große Schlachten und unterlag nur, nachdem seine Heimat nahezu völlig zerstört war.
Im Jahre 1453 berannten die Türken Konstantinopel mit 70 Belagerungsgeschützen und eroberten die Stadt nach 40 Tagen – dieses Jahr läutete das Ende das Mittelalters ein und auch das Ende des Rittertums. Ein gepanzerter Personenschutz war einfach nicht mehr möglich. Zwar wurden Versuche unternommen mit doppelten Panzerungen – die äußere harte Schicht sollte die Wucht des Aufpralls mildern, die zweite weiche das Projektil abfangen. Doch diese Kürassen waren so schwer und unhandlich, dass man sich weigerte, sie zu tragen. Vielmehr gestaltete man die Schlachtordnungen beweglicher, Festungen wurden in die Erde gebaut und das Vorfeld deckungslos gehalten.
Leichtere und handlichere, zunehmend auch treffsichere Handwaffen verlangten so oder so nach neuen Taktiken. Die Infanterie gewann an mehr Bedeutung, Musketiere wurden in bis zu 25 Reihen hintereinander gestaffelt. Wenn die erste Reihe geschossen hatte, zog sie sich zum Laden zurück. Die anderen Reihen zogen vor und schossen. So konnten man den Gegner mit einem permanenten Kugelhagel überschütten.
Abb.: Nachgestellte Schlacht von Naseby/England 1645 - Gut zu erkennen die dreigliedrig gestaffelt schießenden Musketiere und die zum Schutz beigestellten Pikeniere
Epilog
Betrachtet man das Kriegswesen seit Beginn der Geschichtsschreibung bis heute, fällt auf, dass es immer ein Wettrüsten zwischen Offensiv- und Defensivwaffen gegeben hat. Angriffswaffen wurden immer schwerere Panzerungen entgegengesetzt, die wegen ihrer Schwerfälligkeit neuen, leichten und flexiblen Waffen unterlagen. Danach begann die Aufrüstung beider Seiten wieder von vorne. Ein wahrer Teufelskreis.
Ende Teil XII - Ende der "Kleinen Waffenkunde"
Nächste Woche geht es weiter mit "Weibsbilds Waffenkunde"
© Hinrik aus Nyenwoerden