Eine kleine Waffenkunde IX
4.6 Offensivwaffen des Rittertums – Feuerwaffen (1)
Vor der Einführung von Feuerwaffen hing der Ausgang einer Schlacht nicht nur von Strategie und Taktik des Feldherren ab, sondern sehr stark auch von der physischen Kraft und Ausdauer der Kämpfer, die sich innerhalb des blutigen Gemetzels der Schlacht in höchst anstrengenden Zweikämpfen gegenseitig niedermachten. Gegen die Feuerwaffe aber konnte auch der Kräftigste nichts ausrichten. Zwar waren Feuerwaffen anfangs den bisherigen vergleichbaren Waffen noch weit unterlegen: Geschosse flogen nicht weit genug, hatten wenig Durchschlagkraft und die Zielgenauigkeit entsprach eher dem Prinzip Zufall. Auch der Ladevorgang war sehr zeitaufwendig, die Zuverlässigkeit je nach Wetter stark eingeschränkt. Einzig der psychologische Effekt von Feuer, Rauch und Knall mag zuerst überwogen haben. Dennoch haben die Feuerwaffen den Lauf der Geschichte in einem Maße verändert, wie man es sich selten bewusst macht.
Zum Beispiel war es nicht der von Jeanne d’Arc neu geweckte Kampfgeist, der die Franzosen im hundertjährigen Krieg trotz teils erheblicher Unterzahl die Engländer aus dem Land vertreiben half, sondern der Einsatz von Kanonen. Auch die Türken wurden im 15. Jahrhundert zur großen Gefahr, nicht weil ihr Kampfeseifer durch den Glauben angefacht höher war, sondern weil sie riesige Belagerungsgeschütze einsetzen und nach dem Fall von Konstantinopel mit ihnen bis vor Wien zogen. Die gewaltigsten Kanonen des Mittelalters waren die „Dulle Griet“, 5 Meter lang und 16,4 Tonnen schwer, sowie das „Dardanellengeschütz“ mit 20 Tonnen Gewicht.
Abb.: Das "Dardanellengeschütz" auf dem Weg nach Konstantinopel (modernes Gemälde). Gut zu erkennen die gewaltige Größe
ÜÜber den Erfinder des Schießpulvers wissen wir nur, dass es nicht der legendäre Mönch Berthold Schwarz war. Nachweislich kannten es schon die alten Chinesen und die älteste schriftliche Rezeptur stammt vom Franzikanermönch Roger Bacon aus dem 13. Jahrhundert. Die wiederum älteste Darstellung einer Feuerwaffe findet sich auf einer englischen Handschrift aus dem Jahr 1326 und im gleichen Jahr berichtet auch ein Erlass des Florentiner Magistrats von einer Kanone. Ab diesem Zeitpunkt finden sich in ganz Europa Hinweise auf den vermehrten Einsatz von Pulvergeschützen.
Abb.: Eine der ersten "Kanonen" - ein sogenannter Feuertopf
Die ersten Waffen dieser Art waren „Feuertöpfe“, vasen- oder flaschenförmige Vorderlader auf Holzgerüsten, aus denen Pfeile mit lederumwickelten Schäften verschossen wurden. Später kamen Kugeln aus Stein, Blei oder Eisen zum Einsatz, Anfang des 15. Jahrhunderts auch Schrapnell. Im 14. Jahrhundert wurden erstmals Mörser auf Karren montiert, um schneller auf dem Schlachtfeld transportiert werden zu können. Etwas später kamen sogar schon Hinterlader zum Einsatz und sogenannte Orgelgeschütze, bei denen mehrere Rohre mittels einer Pulverrinne gleichsam nacheinander abgefeuert werden konnten.
Kleinkalibrige Kanonen wurden noch nicht gegossen, sondern aus einem Stück geschmiedet. Größere Waffen wurden ähnlich einem Fass aus geschmiedeten Eisenstäben zusammengesetzt und mit eisernen Ringen zur Verstärkung umgeben. Erst im späten Mittelalter, als Kanonen zur Standardbewaffnung der Heere gehörten und viel bewegt werden mussten, ging man dazu über, sie aus leichterem Metall zu fertigen. So wurden die Heeresgeschütze aus Bronze gegossen. Festungswaffen dagegen aus dem billigeren Eisen, da sie weniger bewegt werden mussten.
Abb.: Eine Feldschlange mit dem üblichen Kaliber von 6 cm. Kleines Bild: Das Zündloch
Abb.: Die "Greif", eine sog. Kartaune von 1524, wiegt 200 Zentner (=10 Tonnen) und verschoss mit 94 Pfund Pulver 188 Pfund schwere Geschosse
Während die Kanonen als Flachfeuergeschütze ihr Ziel direkt anvisierten, waren Mörser Steilfeuergeschütze für den indirekten Beschuss z.B. über Stadtmauern hinweg. Aus den Feuertöpfen und Mörsern entwickelten sich die ersten Handfeuerwaffen. Es waren im Prinzip kleinkalibrige Kanonen, die auf Stangen montiert wurden. Diese steckte man zum Abfangen des Rückstoßes in die Erde. Später stellte man sie vorne auf eine Gabel und klemmte sie hinten in die Schulter. Bedient wurden diese Feuerrohre von zwei Mann: einer hielt die Waffe und der andere zündete sie mittels einer brennenden Lunte, die das in einem pfannenförmigen Vorsprung liegende Zündkraut und damit das Pulver im Lauf entflammte.
Abb.: Zeichnung eines historischen Angriffs. Armbrustschützen und Soldaten mit Hakenbüchsen, sowohl zu Fuß als auch zu Pferd abgeschossen, gemeinsam eskortiert von Pikenieren
Im Laufe der Zeit winkelte man den Schaft an, damit die Waffe besser zu halten und der Rückstoß schmerzfreier abzufangen war, und versah die Waffe mit einem Hebel, der die Lunte hielt und vom Abzugsbügel freigegeben diese an die Zündpfanne bewegte. Diese Vorrichtung ist als Luntenschloss bekannt und diese Waffe, die ein Mann jetzt allein bedienen konnte, als Arkebuse.
Abb.: Arkebuse mit Luntenschloss von 1425
Ende Teil IX - Fortsetzung folgt
© Hinrik aus Nyenwoerden