Ausgabe 70 | Seite 4 14. September 2008 AD
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Eine kleine Waffenkunde VII

4.4 Offensivwaffen des Rittertums - Stangenwaffen

Bereits in grauer Vorzeit diente die Keule als Verlängerung des Armes und damit Verstärkung des Schlages wider den Gegner. Im Laufe der Jahrtausende entwickelten sich aus der Keule verschiedene Waffen. Eine der bekanntesten Waffen ist der Morgenstern, eine mit Spitzen bewehrte Eisenkugel auf einem langen Griff. Der Streitkolben war eine auf einer Stange befestigte Walze mit angeschmiedeten Schneiden. Aus der Landwirtschaft übernommen war der Kriegsflegel, eine lange Stange mit einer oder mehreren an Ketten befestigten Stachelkugeln. In Rotation versetzt verstärkte sich die Wucht des Aufpralls enorm und trennte diesmal nicht die Spreu vom Weizen, sondern den Getroffenen von den Lebenden.


Abb.: Kriegsflegel mit kuzer Stange und Eisenkugel, wegen der Gefahr der Selbstverletzung nur von gepanzerten Rittern eingesetzt. Rechts ein hölzener Morgenstern

Dann gab es noch die Streitaxt, im Prinzip auch schon seit der Steinzeit. Breitäxte kamen bei der Eroberung Britanniens durch die Normannen zum Einsatz, die Bardiche hatte eine lange, mondsichelförmige Schneide. Die Mordaxt war an einem langen Stiel befestigt und die Reiterstreitaxt hatte gegenüber der Schneide einen spitzen Dorn, mit dem man Eisenplatten vom Harnisch absprengen konnte. Dem gleichen Zweck diente der Reiterhammer, der dem heutigen Zimmermannshammer ähnlich sieht. Mit der flachen Seite konnte man Verbindungen zwischen den Harnischplatten zerschmettern, mit der Spitze zwischen die Fugen schlagen und Platten abreißen.

Als weitere Stangenwaffe fand die Lanze weite Verbreitung, vor allem bei den Rittern. Sie bestand aus zähem Holz mit einer mehrschneidigen Stoßklinge, war etwa drei Meter lang und wog zwei Kilogramm. Turnierlanzen waren stumpf und sollten den Widersacher nur aus dem Sattel heben. Man kann davon ausgehen, dass ein selbst stumpfer Lanzenstoß und der folgende Sturz vom Pferd, vor allem bei der damaligen medizinischen Versorgung, ziemlich tödlich sein konnte. Bemerkenswert ist immerhin, dass im 17. Jahrhundert die Lanze als Angriffswaffe fast völlig verschwand, im 19. und sogar 20. Jahrhundert allerdings in Reiterregimentern wieder zum Einsatz kam.

Etwas weniger als über die Waffen der Ritter weiß man heute über die des Fußvolkes. Das hat zwei Gründe: die großen Schlachten des frühen und hohen Mittelalters waren Auseinandersetzungen zwischen reinen Ritterheeren. Erst als die Ritter zu unbeweglich bzw. komplizierte Waffen wie die Armbrust zum Einsatz kamen, wurden auch Soldaten zu deren Schutz benötigt, die dann aus dem gemeinen Volke rekrutiert wurden. Außerdem konnten jene im Gegensatz zum Adel nicht schreiben und ein adeliger Ritter schrieb wohl kaum über das niedere Volk. So gibt es also kaum Aufzeichnungen, aber auch der Ackermann wusste sich zu wehren, und wenn er sich mit seinen alltäglichen Werkzeugen zur Wehr setzte: Axt, Dreschflegel, Heugabel oder Sichel.

Gerade in Deutschland, der Schweiz und Frankreich, wo sich die Landbevölkerung gegen den sie unterdrückenden Adel auflehnte, wurde im Zuge der Bauernaufstände die genannten Werkzeuge zu wirkungsvollen Waffen weiterentwickelt. Heimat- und besitzlos gewordene Land- und Stadtbewohner organisierten sich in Folge dieser Kriege oft zu Banden und verdingten sich jedem, der sie bezahlte. So entstanden auch die berühmten Schweizer Garden, die heute noch in historischen Uniformen den Vatikan bewachen. Diese Banden, die mit der Zeit professionelle Söldnerheere wurden, zogen sowohl für Päpste als auch für Könige ins Feld.






Die meist unberittenen Soldaten benötigten daher Waffen, mit denen sie gegen die schwer gepanzerten Ritter ankamen. Am besten ging das aus sicherem Abstand, so wurde eine auf eine lange Stange gesteckte Axt zur bekanntesten Waffe der Fußtruppen – der Hellebarde. In ihrer vollkommensten Form hatte sie eine breite Klinge, um Rüstungen zu zerschlagen oder Pferden die Beine abzuschlagen, eine lange Stoßspitze, um durch Harnischfugen zu stoßen und gegenüber der Klinge einen Reißhaken für verschiedene Anwendungen. Wie verheerend diese Waffe war, zeigte sich in mehreren Schlachten der Schweizer gegen die Habsburger, in denen reine Ritterheere allein vom Fußvolk mit Hellebarden niedergemacht wurden. Erst mit Aufkommen der Feuerwaffen wurde die Hellebarde bis zum völligen Verschwinden zur Paradewaffe degradiert.


Abb.: Knebelspieß und Roßschinder, rechts die
berühmte "Heilige Lanze" mit einem Nagel vom Kreuze Jesu


Stangenwaffen gab es in den verschiedensten Ausprägungen: die reinste Grundform war wohl die Pike, von der auf jeder junge Söldner sein Kriegs-Handwerk erlernte. Andere Waffen waren gabelförmig, hatten Flügel, die das zu tiefe Eindringen in den Körper verhinderten, oder gar eine Holspitze, aus der man einen langen spitzen Dorn ausfahren konnte. Sturmgabel, Gläfe, Rossschinder, Sponton, Knebelspieß, Korseke oder Partisane waren die Namen der tödlichen Waffen. Aber auch jene verloren mit immer besser werdenden Schusswaffen ihre Daseinsberechtigung. Versuche, die bewährten Stangenwaffen mit Feuerwaffen zu kombinieren, erwiesen sich als wenig sinnvoll und brauchbar, einzig das Bajonett hat sich im Nahkampf als brauchbar erwiesen, allerdings auch nur bis zum Aufkommen der kurzläufigen Maschinenpistolen.


Abb.: Von links nach rechts: Partisane, Korseke,
Hellebarde und Gläfe





Ende Teil VII - Fortsetzung folgt

© Hinrik aus Nyenwoerden

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