Ausgabe 67 | Seite 4 24. August 2008 AD
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Eine kleine Waffenkunde IV

4.1 Defensivwaffen des Rittertums – Helm und Rüstung (2)

Nun ist es ja so, dass jede Entwicklung auf der einen Seite, der Rüstung, natürlich Weiterentwicklungen auf der anderen Seite, der Waffe, bedingte. Auf die Angriffswaffen gehe ich später noch intensiver ein. So ist es nicht verwunderlich, das auch der Kettenpanzer, der allein schon 15 Kilogramm wog, mit der Zeit immer mehr verstärkt werden musste. An neuralgischen Punkten wie Schultern und Armen wurden weitere Harnische wie eiserne Platten oder Rippen aufgesetzt, um Schläge abzumildern.

Mit der fortschreitenden Entwicklung der Angriffswaffen wurden auf den Kettenpanzer immer mehr Harnischplatten aufgebracht. Zuerst nur als isolierte Schutzmaßnahme einzelner Köperteile, entwickelten sich in der Zeit Techniken, die einzelnen Elemente geschickt miteinander zu verbinden, dass eine Gesamtrüstung entstand, die größtmöglichen Schutz aber auch notwendige Bewegungsfreiheit gewährleisteten. Das führte sogar soweit, dass die waffenführende, meist rechte Seite leichter und flexibler gestaltet war, während die linke, schildtragende Seite besonders stark gepanzert wurde. Schnallen und Scharniere, die die einzelnen Teile zusammenhielten, waren natürlich besonders empfindlich und bedurften zusätzlichen Schutzes. Trotzdem waren jene Stellen besonders anfällig für gezielte Stöße mit kleinen spitzen Waffen. Daher trugen Ritter für gewöhnlich unter der Rüstung noch einen leichten Kettenpanzer.


Abb.: Die Hauptbestandteile einer Standard-Rüstung

Während Prunkhelme hauptsächlich mehr Zier- als Schutzfunktion hatten und allerlei künstlerische Ausprägungen erhielten, waren Kampfhelme eher schlicht und funktional. Die Grundform war konisch oder kugelförmig, unten war die Brünne befestigt, oben im Scheitel oft ein Kamm oder eine Spitze. Die Front war meist komplett offen, um das Blickfeld so wenig wie möglich einzuengen. Im Kampf dagegen wurde ein Visier heruntergeklappt, das für die Sicht entweder durchbrochen war oder schmale Sehschlitze enthielt. Der im 14. Jahrhundert am weitest verbreitete Helm war die sogenannte Hundsgugel, deren Frontpartie wie eine Hundeschnauze weit vorgetrieben war. An deren Unterseite waren ebenfalls Sehschlitze angebracht, so dass der Kämpe sehen konnte, was zu seinen Füßen lag, denn allzu weit konnte man mit der starren Rüstung den Kopf nicht nach vorne beugen. Manche Helme waren auch im Felde mit einer Helmzier versehen, die wie das Waffenhemd der Erkennung diente.


Abb.: Die Hundsgugel (Hundeschnauze) mit Brünne

Das Geschäft mit den Rüstungen muss damals ein sehr lukratives gewesen sein. Reiche Adlige leisteten sich nicht nur eine für den Krieg, sondern auch wenigstens eine für Turniere. Diese waren natürlich genau an den Körper des Trägers angepasst und entsprechend teuer. In vielen Waffenschmieden aber produzierte man auch Stangenware, d.h. genormte Rüstungen, die sich auch arme Ritter leisten konnten. Zudem war es möglich, Einzel- und Ersatzteile auf Vorrat zu schmieden und nach einem Kampf einfach nur die beschädigten Teile auszutauschen. Ob es im Mittelalter eine Art „Gelbe Engel“ gab, die während der Schlacht verlorene Armschienen ersetzte oder klemmende Visiere gängig machte, ist allerdings nicht überliefert.






Die „Auf“-Rüstung der Ritter barg in sich ein nachvollziehbares, schwerwiegendes Problem: Das Gewicht der Rüstung ließ sie nicht ohne Hilfe aufs Pferd kommen und wenn sie erst mal am Boden lagen, waren sie hilflos dem Gegner ausgeliefert, wenn sie nicht sogar vom Gewicht der eigenen Rüstung erdrückt wurden. So gewann, und zwar seit dem „Hundertjährigen Krieg“ zwischen Frankreich und England, die Fußtruppe immer mehr an Bedeutung. Englische Bogenschützen und Ritter kämpften erstmals zu Fuß und besiegten die französischen Ritterheere, indem sie jene mit Pfeilen von den Pferden holten und am Boden liegend gemütlich und einzeln erdolchten. Nicht nur die Weiterentwicklung der Offensivwaffen sondern auch die Änderung der Kampftaktik bereiteten dem schwer gerüsteten Ritterstand als Hauptwaffe im Kriege ein Ende. Zuerst die Armbrust und später die Feuerwaffen, deren Geschossen keine Rüstung mehr widerstand, ließen den schweren Körperschutz immer mehr vom Kampffeld verschwinden, da er nutzlos und hinderlich wurde.


Abb.: Plattenharnisch aus dem 15.Jh. Gut zu erkennen die stärker gepanzerte linke Seite



Abb.: Sehr figurbetonte Rüstung Heinrich VIII (links). Prunkvoller Plattenharnisch aus dem 16.Jh. mit zwei Visierhelmen (rechts)



Abb.: Massgeschneidertes Rüstungsensemble aus dem 15. Jh.

Immerhin blieb den Waffenschmieden ein sehr lukratives Betätigungsfeld: Prunk- und Luxusharnische waren gefragter denn je, vor allem in der Renaissance. Nach allen regeln der Kunst der Metallbearbeitung fein verziert, mit Gold und Edelsteinen besetzt, wurden sie für hohe Persönlichkeiten gefertigt. Führende Zentren lagen in z.B. Mailand, Augsburg, Nürnberg oder Innsbruck. Italienische Harnische waren besonders schön, deutsche besonders funktional und ausgetüftelt. Jeder lernte vom anderen und es kursierten sogar Musterbücher für kunstvolle Harnische. Zum Teil entstanden richtige Rüstungskonzerne, die vom Bergwerk über die Verhüttung und Schmiede bis hin zum ausgeklügelten Vertriebsnetz den gesamten Produktionsweg kontrollierten und gemäß der Nachfrage die Fertigung steuern konnten.





Ende Teil IV - Fortsetzung folgt

© Hinrik aus Nyenwoerden

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