Die Marktschreier
Das laute Geschrei verschiedener Stimmen ist schon von weitem zu hören. Ein tiefer sonorer Bass verkündigt die Botschaft seines Auftraggebers. "Coins, kaufe Coins!" Dazwischen ist deutlich eine hohe keifende Stimme zu hören: "Kaufe alle eure Coins, Kommt zu mir!" Andere Stimmen fallen ein, in den unterschiedlichsten Tonlagen, aber fast alle mit einer ähnlich lautenden Botschaft.
Auf dem Markt sind sie zwischen den einzelnen Marktständen auf ihren Podesten nicht zu übersehen. Professionelle buntgekleidete Marktschreier, die alles aus ihrer Stimme herausholen und gebetsmühlenartig die aufgetragenen Botschaften verkünden. Mehr oder minder umringt von Marktbesuchern, die ihren Worten lauschen.
Vorne am Markteingang steht ein kleiner Bretterverschlag, in dem ein kleines Männchen mit einer Sehhilfe gebeugt über ein Pergament sitzt und Aufträge für seine Marktschreier annimmt. Ein Coinhändler, der fernöstlich gekleidet ist, entnimmt seiner Geldkatze 5 glänzende Coins und läßt sie auf den Holztisch springen. Auch seine Sprache deutet darauf hin, dass er nicht von hier stammt. Das Männchen notiert nach einigen Nachfragen die Botschaft und schickt einen bulligen großgewachsenen Schreier los, der zu einem Podest geht und seinen Kollegen ablöst. Schon mischt sich seine gutgeölte Stimme in das allgemeine Geschrei und ruft:"Coins, wir kaufen eure Coins!"
Der Stadtbüttel schlendert durch die Reihen der Marktstände, kontrolliert hier und dort die Preisauszeichnungen und lauscht den Botschaften der Marktschreier, ob diese auch nicht gegen die Gebote der Obrigkeit verstossen.
Eine reich gekleidete junge Dame tritt an die Marktschreierbude und läßt ein Gesuch nach preiswerten Ziegen verkünden, gefolgt von einem älteren Mann, der Holz und Getreide sucht. Der fremdländisch gekleidete Coinhändler kommt nervös zurück und schickt gleich zwei weitere Marktschreier los. Scheinbar hat er die Befürchtung, dass sein Anliegen nicht gebührend wahrgenommen wird.
Ein jüngerer Coinhändler, dessen Marktschreier dadurch von seinem Podest vertrieben wurde, greift grummelnd in seine Geldkatze, um erneut für seinen Coinhandel werben zu lassen. Ein giftiger Blick gilt seinem fremdländischen Kollegen, der durch ständig neue Aufträge für sein Geschäft wirbt.
Ein Pfiffikus verkauft gegen den "steigenden Schmerz in den Ohren" Büschel mit Petersilie, womit sich auch prompt einige Marktbesucher ihre Gehörgänge verstopfen. Ein Gehilfe des Büttels packt ihn am Kragen und schleppt ihn zur Stadtwache, wo ihn ein heftiges Bussgeld wegen Handel ohne behördliche Erlaubnis erwartet.
Der Bürgermeister verfolgt verschmitzt das bunte Treiben, bekommt seine Stadt doch eine schöne Provision von der Marktschreierzunft. Er tritt an seinen Stadtbüttel heran:"Nun, Büttel, ist alles so wie es sein soll? Alles in bester Ordnung?"
Der Stadtbüttel nickt. "Ja Herr, Geschäfte wie an jedem Tag. Und alles in Ordnung, in bester Ordnung."
© Max Hohenstein, Chronist von Wulferisbuttle
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Erlebnisse eines Ex-Freifräuleins
Wieder hatte uns ein Schicksalsschlag getroffen, wieder habe ich die Kraft gefunden, uns alle aus diesem schweren Los zu befreien. Ich bin zufrieden mit mir.
So langsam läuft die Produktion wieder und ich kann schon wieder daran denken, meine Kontakte zu pflegen.
Erinnert Ihr Euch noch an die Patrizierstochter, die den warzengesichtigen alten Mann geheiratet hatte? Deren Ehe so sehr schnell mit einem Kinde gesegnet war? Natürlich, wer könnte die denn vergessen.
Neulich hat sie mich besucht und erkundigte sich nach meinem Befinden, nachdem sie von der schweren Krankheit, die meine Knechte und Mägde befallen hatte, hörte. Sie war nicht nur sehr freundlich und sehr nett zu mir, sie hat sich auch mal wieder die Seidenstoffe und die Schuhe zeigen lassen, die ich auf Lager habe. Ohne ihre Aufforderung legte ich noch einige erlesene Geschmeide vor, die meine Goldschmiede hatten angefertigt. Ach, wie sehr ihre Augen leuchtete angesichts dieser Pracht. Und wie leicht ich ihr doch aufreden konnte, dass ausgerechnet die frische zitronengelbe Seide ihr besonders gut stünde. Unter uns, ich bin sie bis jetzt nicht los geworden. Doch mal abgesehen von dem fehlenden Modebewusstsein meiner Zeitgenossinnen kann sie die wirklich gut tragen.
Sie war unentschlossen. Also holte ich meinen Schreiber. Glücklicherweise hat auch er diese Seuche überlebt, wengleich er äußerst abgemagert ist. Ich werde ihm mal einen Gänsebraten schicken müssen. Er hat doch dieses besondere Geschick mit Mode und Schönheit. Ungewöhnlich für einen Mann, aber ich habe schon so oft davon profitiert. Auch weiß er immer recht genau, was am französischen Hof getragen wird. Wie dem auch sei, er nahm die Seide, warf sie der Patrizierin über und holte einen großen Spiegel. Schließlich ließ er sich von Adelgunde noch einen Spiegel bringen, so dass sich die Patrizierin besser betrachten konnte. Noch ein wenig Schmuck, etwas edlen Pelz und sie sah sehr gut aus. Und vor allem: Sie hat alles gekauft. Und daraum gebeten, bei ihrem nächsten Besuch doch wieder von meinem Schreiber beraten zu werden.
Sollte ich vielleicht einen Raum herrichten, in dem Stoffe so probiert werden können? In dem sich die Frauen betrachten können mit den Sachen, die sich erwerben möchten? Um sie dazu zu bringen, sie später auch wirklich zu erwerben? Einige Erfrischungen, etwas Gebäck, einige Gläser guten Weines, ruhig ein wenig schwer. Ich sollte mal darüber nachdenken. Das würde doch meine Verkäufe gewiss ein wenig steigern.
© Ellisa von Mayenfells
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Timur Lenk oder Tamerlan
Timur, geboren am 08. April 1336 im heutigen Shaxisabz, entstammt dem mongolischen Stamm der Barlas, die im 13. Jahrhundert in das damalige Transoxanien einwanderten. Es war das Land jenseits des Oxus, dem heutigen Amudarja, und liegt heute größtenteils in Usbekistan.
Wegen Verwachsungen seiner rechten Schulter sowie Kniescheibe, wozu noch eine Pfeilverletzung an der rechten Hand kam, war er in seiner Beweglichkeit eingeschränkt und erhielt den Namenszusatz „e-Lang“ oder „Lenk“, was „der Lahme“ bedeutet. Daraus wurde die in Europa gebräuchliche Form Tamerlan.
Transoxanien, ein weitläufiges Wüstengebiet, beherbergte damals wie heute einige Oasen wie Choresm, in denen reiche Städte blühten – Taschkent, Samarkand und Buchara sind nur einige und durch die Seidenstraße zu Wohlstand gelangt. Um diese Reichtümer fochten die ansässigen verschiedenen Mongolenstämme viele Kriege, was sich Timur zu Nutzen machte, um selbst zu Macht zu gelangen. Dies gelang ihm aber erst 1370 nach Unterwerfung seines Schwagers. Timur rief sich zum Herrscher von Transoxanien aus und nannte sich Emir. Zur Stärkung seiner Machtansprüche heiratete er zusätzlich in die Familie Dschingis Khans ein.
In den Folgejahren begann er einen unsteten Eroberungsfeldzug und schuf ein Reich, das neben Transoxanien auch Persien, Aserbaidschan und Georgien umfasste und im Osten an die Mongolei reichte. Auch kämpfte er in Indien, der heutigen Türkei und sogar im südlichen Sibirien gegen die Goldene Horde. Sein Reich hatte aber nicht lange Bestand und zerfiel gleich nach seinem Tod. Grund dafür war hauptsächlich, dass Timur sich der mongolischen Tradition fest verbunden und immer noch als Nomade fühlte. Daher bemühte er sich auch kaum um den Aufbau einer Verwaltung in den eroberten Gebieten, sondern plünderte sie restlos aus und schaffte alle Reichtümer in seine Heimat. Während eroberte Städte dem Erdboden gleichgemacht wurden, gingen gefangene Handwerke, Künstler und Baumeister nach Samarkand, Chiva oder Buchara, um dort mit ihrer Kunstfertigkeit die Städte zu verschönern. Es entstand sogar ein eigener timuridischer Stil, der starke persische Einflüsse verzeichnete. Auch der Handel auf der Seidenstraße blühte wieder auf, da Timur ein friedliches Verhältnis mit China anstrebte und der Landweg bis nach Persien unter seiner Herrschaft recht sicher war.
Nachdem Timur reihum alle Feinde besiegt hatte, war ihm schließlich nur noch das mächtige China der Ming-Dynastie, dem er tributpflichtig war - ein Dorn im Auge. Der im Winter 1405 gestartete Feldzug gegen China ging dann aber auch ins Auge: Timur starb schon auf dem Anmarsch nach übermäßigem Weinkonsum. Zu Lebzeiten hatte er sich in Samarkand sein Mausoleum Gur-e Amir bauen lassen, in dem er jetzt beerdigt liegt.
Nach dem Zusammenbruch des Kommunismus, als sich die Usbeken wieder auf ihre wahre Vergangenheit besinnen durften und in einer Zeit der Ziellosigkeit und Neuorientierung Fixpunkte gebraucht wurden, erstarkte im Land der Nomaden die Erinnerung an Timur Lenk, als einzigen wohl gleichermaßen in Asien und Europa bekannten usbekischen „Sohn“, der immer Nomade geblieben war. So stehen seine Statuen in Taschkent, Samarkand und Shaxisabz und zeigen eher den gütigen Landesfürsten als den erbarmungslosen Eroberer.
© Hinrik aus Nyenwoerden
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Schlagzeilen im Mittelalter
Nehmen wir einmal an, im Mittelalter wären alle Bürger schon des Lesens kundig gewesen und es hätte schon Boulevardzeitungen gegeben, die mit reisserischen Schlagzeilen ihre Auflage steigern wollen.
Wie hätten damals wohl die Schlagzeilen ausgesehen? Hier einige Ideen:
Bauer biss Wolf!
Unglaublich: Der Rübenbauer Siegfried Neuenstein wurde auf dem Weg zu seinem Acker von einem Rudel Wölfe überfallen. Der Leitwolf, ein grosses graues Tier hatte schon seine Zähne in den Oberschenkel des Bauern geschlagen, da biss dieser in grösster Not in den Nacken des Raubtieres und schlug dadurch die Angreifer in die Flucht.
Siegfried Neuenstein dazu: "Ich war einfach sauer, dass dieses Vieh meine schöne Sonntagshose zerrissen hat. Wenn man mich beisst, beisse ich zurück!"
Bischof war Nonne!
Obwohl schon zehn Jahre im hohen Amte, ist erst jetzt rausgekommen, dass der Erzbischof Rudolpf von Hohentritt in Wirklichkeit eine Frau ist! Eine Ersuchung hat ergeben, dass die Missetäterin eine ehemalige
Nonne mit herben Gesichtszügen ist, die bei einem Spaziergang die Bischofstracht an einem Weiher gefunden hatte.
Ein Vertrauter: "Ich habe schon immer gewusst, dass da was nicht stimmt. Der Herr Erzbischof hat sich immer geweigert, mit uns gemeinsam an die Kirchenmauer zu pinkeln. Jetzt wissen wir auch, warum"
Räuber erwischt - Schwiegermutter tot!
Der Grossbauer Ignatius Vollenbart hat nächtens ein Geräusch in seinem Haus gehört und sich mit gezogener Waffe nach unten geschlichen. Dort überraschte er eine dunkelgekleidete Gestalt, die den Inhalt seines Schrankes durchwühlte. Mit seiner Klinge erschlug er den vermeintlichen Einbrecher, nur um festzustellen, dass es sich um seine Schwiegermutter
handelte.
Ein Sprecher der Stadtwache dazu: "Der Mann ist natürlich unschuldig. Was hat dieses Weibsbild nächtens seine Sachen zu durchsuchen."
Ziege statt edlen Rosses verkauft!
Ein besonders schlimmer Fall von Betrug hat der örtliche Viehhändler Johannes Kleinfichtel begangen. Statt des versprochenen edlen
Reittieres hat er dem durch eine Kriegsverletzung erblindeten Veteran Hugo Hochdorf eine übelriechende Ziege angedreht.
Der Geschädigte dazu: "Ich habe gleich gewusst, dass da was nicht stimmen kann. Das Tier hat die ganze Zeit meckernde Geräusche von
sich gegeben. Aber der Verkäufer hat mir erzählt, das Tier wäre erkältet."
© Max Hohenstein, Chronist von Wulferisbuttle
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