Der alte Grosskaufmann war bekannt für seine Hartherzigkeit. Seine Geld verstand er zu mehren, sein Geschäft beherrschte er, da machte ihm so schnell keiner was vor. Jedoch trennte er sich nur ungern von den erworbenen Talern, es sei denn für geschäftliche Ausgaben. Sich selbst gönnte er so gut wie keine Freuden dieses Lebens. So lief er seit Jahr und Tag in alten verschlissenen Kleidern herum, ständig ausgebessert und geflickt von seiner treuen Haushälterin. Und an Speisen nahm er meist nur Wasser und trocken Brot zu sich.
Die alte gute Haushälterin beobachtete mit Kummer, wie der Kaufmann sich immer weiter von dieser Welt zurückzog. Besonders die Weihnachtszeit war ihm ein Greuel, kamen doch ständig Bittsteller vor sein Haus, die für die verschiedensten Zwecke Geld sammelten. Über die Jahre hatte er sich die Meinung gebildet, dass es schon einen Grund geben wird, dass es arme Menschen gibt. Die Armen waren diejenigen, die ihr Geld nicht zusammenzuhalten wussten oder gar zu träge oder zu faul waren, solches durch ihrer Hände Arbeit zu verdienen. Warum er dieses Verhalten auch noch durch Gaben belohnen sollte, vermochte er nicht einzusehen.
So beschloss seine Haushälterin, die schon unter seinem Vater gedient hatte, kurz vor Weihnachten eine alte weise Frau aufzusuchen. Von dieser Frau wurde gemunkelt, dass sie für allerlei Zwecke geheimnisvolle Tränke herzustellen vermochte. Ihr beschrieb die Haushälterin ihren Kummer und die alte Kräuterfrau nickte. "Gewiss, da habe ich etwas für euch. Ein Trank der guten Taten. Gebt eurem Herrn diesen in seinen Kaffee am Morgen und er wird den ganzen Tag nur bestrebt sein, Gutes zu verrichten!"
Und so geschah es. Am Morgen des 24. Dezember stellte sie ihm wieder sein karges Frühstück mit einem Becher dünnen Kaffees hin, in den sie den wundersamen Trank hineingegeben hatte. Erwartungsvoll beobachtete sie, wie der Kaufmann den Becher leerte und sich erhob, um wie gewohnt in sein Kontor zu verschwinden.
Er stutzte, schüttelte den Kopf und blickte sich um. "Wie wird mir warm ums Herz? Und meine Beine und Füsse machen sich fast selbständig und wollen gleich forteilen!", staunte er verwundert. Er blickte an sich herunter. "Wie laufe ich herum? Ist solch ein Anzug eines erfolgreichen Kaufmannes würdig? Was nehme ich für armselige Speisen zu mir? Ich muss eilen, mich neu einzukleiden!"
Er wollte hinauseilen, griff aber vorher noch in die Taschen seiner abgegriffenen Jacke, holte eine Handvoll Taler heraus und reichte diese der Haushälterin. "Hier! Besorge sofort alles Fehlende für Küche, Kammer und Keller! Heute ist doch auch der Heilige Abend, da sollte es schon etwas Besonderes geben!" Mit diesen Worten rannte er hinaus und stürzte in eine Schneiderei, wo er sich neu einkleiden liess.
Wie aufgedreht rannte er anschließend durch die Stadt, kaufte hier ein und dort ein und verteilte Geld und Geschenke an Bedürftige. Lieferanten gaben sich an seinem Haus die Klinke in die Hand und lieferten Kisten, Kästen und Pakete mit Einkäufen ab. Auch der Kaufmann kam kurz in seinem neuen prächtigen Gewand zurück und verteilte großzügige Gaben an seine Bediensteten, um sich so für die geleisteten treuen Dienste zu bedanken.
Dankbar und ungläubig staunend starrten seine Knechte und Angestellten ihren völlig verwandelten Herrn an. Dieser glühte direkt vor Eifer, seine Beine waren ständig in Bewegung und richtig, schon war er wieder unterwegs auf der Suche nach weiteren Menschen, die er beglücken könne.
Das Armenhaus, das Hospital, das Waisenhaus, die Kirche, der Sänger- und Schützenverein, alle bekamen Besuch und großzügige Spenden von dem völlig überdrehten Kaufmann, der kaum irgendwo eingetroffen war und sein gutes Werk verrichtet hatte, schon wieder rastlos nach draussen rannte. Und so verstrich der Tag, bis er am Abend erschöpft und müde durch die viele Lauferei nach Hause zurückkehrte.
Vor seinem Haus standen die Menschen dicht an dicht. Die halbe Stadt war gekommen, um sich bei ihrem neuen Gönner zu bedanken, ihm ein frohes Fest zu wünschen und ihn mit zur Weihnachtsmesse zu nehmen, wo er einen Ehrenplatz bekam. Seine Haushälterin hatte derweil die köstlichsten Speisen in großer Menge zubereitet und so wurden all diese Menschen in sein Haus gebeten und dort auf das Beste bewirtet.
Was für ein Heilig Abend! Völlig erschöpft und doch mit einem Lächeln im Gesicht schlief der Kaufmann ein, sobald er sich zur Ruhe gelegt hatte.
Die Haushälterin aber ging noch einmal zur Kräuterfrau, um sich für den Erfolg des Trankes der guten Taten zu bedanken. Wurden ihre Erwartungen doch überreichlich erfüllt.
Die alte Frau lauschte den begeisterten Schilderungen der guten Seele, wie ihr Schützling den gesamten Tag völlig verwandelt all diese guten Taten vollbracht hatte. Dann stand sie auf und schaute die Haushälterin an. "Ich muss euch etwas gestehen. Leider hatte ich mich heute morgen vergriffen und euch statt dem versprochenen Trank der guten Taten ein Fläschen mit dem Trank der flinken Beine ausgehändigt."
Kopfschüttelnd sinnierte sie weiter: "Das erklärt die rastlosen Beine eures Herrn. Warum sich aber eine solche Großherzigkeit eingestellt hat, vermag ich nicht zu sagen. Oder sollte es sein, dass der Geist der guten Weihnacht endlich auch sein Herz erreicht hat? Zur Weihnachtszeit ist alles möglich. Möge dieser gute Geist ihn auch weiterhin durchdringen!"
© Max Hohenstein, Chronist von Wulferisbuttle
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