Am Rande der kleinen Stadt lebte ein Junge, der sich sehr für alles interessierte, was in der freien Natur flog. Neugierig beobachtete er die kleinen frechen Spatzen, die majestätisch dahingleitenden Weihen, die schnellen Schwalben. Sehnsüchtig verfolgte er, wie sie ohne Mühe durch den blauen Himmel zogen, scheinbar losgelöst von allen Sorgen dieser Welt.
Auch die kleinen Flieger hatten es ihm angetan, die schwere gutmütige Hummel, die behäbig von Blüte zu Blüte flog, die surrenden Wespen und Bienen und die bunten Schmetterlinge. Sogar die Mücken und andere lästige Fluginsekten beobachtete er auf das Genaueste, um ihnen das Geheimnis des Fluges zu entlocken.
So begann er auch kleine Basteleien, um es ihnen gleichzutun. Er bestückte lange Äste mit den großen Federn der Gänse und bemühte sich durch fleißiges Wedeln dieser Flügel empor zu schweben. Es war eine einzige Enttäuschung. Es gelangen ihm einige Hopser, die er wohl gewiss auch ohne diese Hilfsmittel zustande gebracht hätte. Seine Mutter zeigte sich auch nicht davon begeistert, dass ihre schönen Gänse für einen Sommer ohne Schwanzfedern auf dem Hof herumlaufen mussten.
Die Nachbarn begannen den Kopf zu schütteln und zu tuscheln. Unbeirrt verfolgte der Junge seine Idee. Sehr zum Kummer seiner Eltern, die wohl gerne gesehen hätten, wenn der Junge den Hof übernehmen würde. Aber er trieb sich lieber bei einem örtlichen Mechanicus herum, der als Lebensunterhalt eine kleine Schmiede betrieb und ansonsten die wunderlichsten Dinge baute. Gemeinsam brüteten sie über den Bau eines Apparates nach, der dem Menschen die fehlenden Flügel ersetzen sollte.
So entstanden die tollsten Konstruktionen. Lange klappbare Gestelle, die mit Ziegenhäuten bespannt wurden und über einen raffinierten Mechanismus ausgeklappt und bewegt werden konnten. Ohne Erfolg, selbst ein mutiger Sprung mit dieser Gerätschaft von dem Dach der Schmiede und dann von einem kleinen Hügel brachte nicht das gewünschte Ergebnis. Mehrere kleine Flügelchen, wie sie die Insekten haben, brachten ihn dem Himmel auch nicht näher.
So wurde der Junge älter, nahm eine Lehrstelle bei seinem Freund und Mentor an und steckte ansonsten jede Minute und jeden Taler in seine Ideen. Er unternahm Wanderungen zu den Archiven der umliegenden Klöster, um dort in alten Aufzeichnungen nach Ideen und Anregungen zu suchen. Gelehrte, Alchimisten wurden aufgesucht, sogar vor dem Besuch einer stadtbekannten Hexe scheute er nicht zurück. Sollen diese Frauen doch in der Lage sein, Flugsalbe herzustellen. Die erworbene Salbe roch, nein stank erbärmlich nach faulen Eiern, aber der damit bestrichene Besen und auch ein Stuhl wollten sich keinen Meter in die Luft erheben.
Und es wurde wieder Winter, der Schnee senkte sich in dicken Flocken auf die Erde hernieder. Der junge Mann saß allein in der kleinen Werkstatt und bastelte mit kleinen Stangen an einem neuen Flügelpaar. Die Menschen in der Stadt strömten zur heiligen Abendmesse, es wurde Nacht und die Stunden vergingen, während er an seinem neuen Werk baute.
Da hörte er ein feines Glöckchen läuten und es klang, als ob etwas Schweres sich vor seiner Tür herabgesenkt hätte. Dazu kam noch scharrende Geräusche und das Klimpern von Geschirr, welches Zugtieren angelegt wird. Neugierig öffnete er die Tür und blickte hinaus.
Draußen stand ein großer Schlitten, bis oben hin beladen mit Geschenken, Säcken, Spielzeug. Vor dem Schlitten standen angeschirrt 6 prächtige Rentiere, die erwartungsvoll mit ihren Hufen im Schnee scharrten. Und auf dem Schlitten selbst saß ein dicker Mann in einem roten Mantel mit einem langen schneeweißen Bart.
"Ho, ho, ho!", sprach ihn der Weihnachtsmann an. "Ich kenne deinen sehnlichsten Wunsch! Zu Weihnachten ist es üblich, Wünsche zu erfüllen. Und zuweilen gehen auch die ausgefallensten Wünsche in Erfüllung!" Er zwinkerte ihm vergnügt zu. "Zieh' diese Jacke an, mein Freund!" Er warf ihm einen roten Mantel zu, den der junge Mann überstreifte, ebenso die dicken Handschuhe und die rote Mütze, die er noch gereicht bekam.
"Und nun, komm zu mir auf den Schlitten, wir haben noch genug zu tun, in dieser Nacht!"
Kaum hatte er neben dem Weihnachtsmann Platz genommen, zog dieser auch schon an den Zügeln und wirklich: Die ersten beiden Rentiere machten einige Schritte, erhoben sich dann in die Luft, gefolgt von den anderen Zugtieren und schon ging auch der Schlitten in den Nachthimmel. Staunend blickte er von oben auf die nächtliche Welt. Die Häuser, die Strassen, die Felder, alles überflog das Gespann in Windeseile bis es sich in der nächsten Stadt niedersenkte.
"Der große Sack dahinten, das gelbe Paket, das große Schaukelpferd!" warf der Weihnachtsmann ihm zu. Der junge Mann griff nach hinten und reichte ihm die gewünschten Sachen. Der rotgekleidete Alte verschwand in einigen Häusern, kam zurück und holte noch weitere Sachen.
Die ganze Nacht durch durchstreiften sie das Land und verteilten die mitgebrachten Geschenke an die vielen Kinder, die diese am nächsten Morgen unter dem Weihnachtsbaum fanden.
Und so ging sein großer Traum in Erfüllung. Das Fliegen mit dem Rentiergespann hatte dem jungen Mann soviel Spaß gemacht, dass er mit zurück nach Himmelsthür flog und fortan als Helfer des Weihnachtsmannes arbeitete. Da er ein gelehriger und strebsamer Flugschüler war, teilten sich die beiden bald die Arbeit und es konnten noch mehr Kinder beschenkt werden.
Und noch so manch ausgefallener Wunsch ist von den beiden erfüllt worden. Und wer weiß, wenn jemand lange genug an seinem Traum festhält, ob nicht eines Tages auch dieser sich erfüllt ...
© Max Hohenstein, Chronist von Wulferisbuttle
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