Wir, das heißt der Tagblatt-Redakteur und sein Schreibergeselle, betraten ehrfurchtsvoll ein kleines Haus am Stadtrand von Hannover. Lange hatten wir uns um das Interview mit dem großen deutschen Universalgelehrten bemüht und nun endlich einen Termin erhalten.
Wir wurden ins Arbeitszimmer geführt, in dem der alte Herr am Pult saß und mit krächzender Feder Zahlen und Zeichen zu Papier brachte.
Seine Hände waren von der Gicht gezeichnet, so dass die Begrüßung auch nur mündlich ausfiel. Er trug die typischen Kleider eines Gelehrten mit weißen Strümpfen, Schnallenschuhen und eine hohe Perücke.
Tagblatt: Sire, wir haben natürlich gründlich über Euch recherchiert, dabei sind wir auf, mit Verlaub, Erklärungswürdiges gestoßen, die wir gerne für uns und die Nachwelt zu einer rechten Lösung führen möchten. Zum ersten, warum Ihr zwar in Leipzig und Jena studieret, aber in Nürnberg den Doktor machtet?
Hoher alter Herr Nun, nach guter Vorarbeit durch meine rechtsgelehrten Eltern konnte ich mich bereits mit 15 Jahren immatrikulieren lassen, da ich die griechische und lateinische Sprache beherrschte. Ich betrieb hauptsächlich philosophische und mathematische Studien, doch zum Doktor der Rechte durfte ich 1666, mit gerade erst 20 Jahren, noch nicht promovieren. Das erlaubte man mir erst in Nürnberg.
Tagblatt: Danach habt Ihr aber nie einen Lehrstuhl erhalten, sondern reistet Euer Leben lang durch Europa.
Hoher alter Herr Ja. Ich war zeitlebens ein Forscher und Denker. In einem Hörsaal vor gelangweilten Studenten tagein tagaus dieselbe Litanei zu predigen, war mir zuwider. So wurde ich Diplomat, traf den Sonnenkönig, König Friedrich I., wurde Mitglied der Londoner Royal Society, begründete die Preußische Akademie der Wissenschaften und konnte mich mit vielen europäischen Wissenschaftlern austauschen. Auch schrieb ich die Biographie über das Geschlecht der Welfen.
Tagblatt: Wie empfandet Ihr denn die langen Reisen?
Hoher alter Herr Im Grunde recht unbequem. Aber die Schaukelei und die harten Stöße der Schlaglöcher regten meine Gedanken zu Höchstleistungen, so machte ich mir allerlei Gedanken, sinnierte und erfand.
Tagblatt: Habt Ihr einige Beispiele?
Hoher alter Herr Ich fand Beweise für das Unbewusste des Menschen, dachte über bessere Türschlösser und ein Schiff nach, das unter Wasser fahren kann. Die Infinitesimalrechnung hat mir dagegen sehr viel Kopfzerbrechen bereitet, genau wie das Duale Zahlensystem, über dass ich bei meinen Gedanken zu religiösen Problemen fiel.
Mein Meisterstück aber ist eine mechanische Rechenmaschine für die vier Grundrechenarten. Er beugt sich vor und fügte mit schelmischem Blick hinzu: Trauen tät ich ihr nie, sie verzählt sich zu oft.
Tagblatt: Und die Monaden?
Hoher alter Herr mit verklärtem Blick: Ja, die Monaden. Plötzlich wird er unwirsch. Die hat sowieso niemand verstanden, da hätte ich genauso gut über Kekse philosophieren können!
Dann beugt er sich brummelnd über sein Pult, nimmt wieder die Feder zur Hand, taucht sie ins Tintenfass und kritzelt eifrig auf dem Papier. Mein Schreibergeselle und ich sehen uns an, nicken uns zu und machen uns leise kopfschüttelnd aus dem Staube.
Nachtrag: Freitagabend sitze ich noch über den letzten Korrekturen des Artikels, da kommt der Schreibergeselle mit der Botschaft in mein Arbeitszimmer gestürzt, dass der hohe alte Herr vor zwei Tagen, am 14. November, mit 70 Jahren verstorben ist.
Gesucht wird der Nachname unseres Interviewpartners
(Schreibt den Namen in die Betreffzeile, nur den Namen und nichts als den Namen)
|