Ausgabe 236 | Seite 2 5. Februar 2012 AD
<<< zurück weiter >>>

Kopfgrafik - ? upjers GmbH & Co. KG

Sprechende Steine

Fortsetzung H

Symbole an den Wänden der Kathedralen waren wie Bilderbücher. Hier konnte man erfahren, um was es in der Bibel eigentlich ging. Welche gewaltige Umwälzung, ja Revolution zur Zeitenwende, war die Übersetzung der Bibel durch Martin Luther im Zusammenwirken des Drucks des ersten Buches, der Bibel, durch Johannes Gutenberg. Es lernten immer mehr Kinder auch in den Dörfern Lesen und Schreiben. Jetzt hatten die Menschen einen direkten Zugang zum Wort Gottes und brauchten keine Mittler in Gestalt von Priestern mehr. Niemand konnte mehr dem anderen ein X für ein U vormachen. So richtig wurde die Schulpflicht erst in Deutschland, in Preußen, unter Friedrich dem Großen im 18. Jh. eingeführt. Auf dem Land versuchten etliche Bauern, sie zu umgehen, und ließen ihre Kinder, vor allem die Mädchen, lieber auf dem Hof oder den Feldern arbeiten. Selbst bis ins 20. Jahrhundert hinein gab es diese Kinder. Meine Großmutter hat erst mit 13 Jahren Lesen und Schreiben gelernt, als sie vom Land in die Stadt kam. Welches Privileg haben wir doch!

Hand

Im Hebräischen heißt Hand 'jad' und steht auch für 'Macht', 'Aktivität' und 'Geschick'. Eine besondere Bedeutung hat dabei das Bildwort 'Hand Gottes'. Sie ist ein königliches Symbol der Totalität seiner Macht, insbesondere seiner Schöpferkraft. Das beeindruckendste Beispiel dafür ist ein Detail von Michelangelos Deckenfresco in der Sixtinischen Kapelle, das zwischen 1508 und 1512 entstanden ist : Die Erschaffung Adams. Noch heute werden kunstvolle Drucke der Begegnung der Hand Adams mit der Gottes gerne von vielen in ihren privaten Räumen gezeigt. Immer noch beeindruckt diese fast-Berührung des Menschen mit dem allmächtigen Gott. Adam erwacht, stützt seinen Arm schlaff auf dem Knie und streckt den linken Zeigefinger aus. Gottvater streckt seinen rechten Zeigefinger aus, jedoch kraftvoller und anmutiger, um auf Adam den Lebensfunken überspringen zu lassen.

Die Erschaffung Adams, Detail, Michelangelo (1510)

Michelangelo gehört zwar in die Epoche der Renaissance, greift hier aber ein mittelalterliches Motiv auf, das schon auf den Sarkophargen und Mosaiken des Frühmittelalters zu finden ist, so in S. Vitale in Ravenna.

Harfe

Die Harfe steht für den alttestamentlichen König David. Wenn eine Harfe in der Hand einer Figur zu sehen ist, handelt es sich meist um König David, den Psalmdichter. Schon im 5. Jh. ist er auf einer Holztür von der Kirche St. Ambrogio in Mailand zu sehen oder auf einem koptischen Fresco aus dem 6. Jh.

 König David aus dem Egbert-Psalter mit einer Leier. Buchmalerei um 980 Den mittelalterlichen Autoren galt David als der Prototyp des Psalmisten und des Dichters; er galt zu dieser Zeit als Patron der Meistersinger. Im Hymnus 'Dies Irae' prophezeit er zusammen mit der Sibylle das Herankommen des Jüngsten Gerichts. Im Mittelalter galt David als beispielhafter Ritter und beispielhafter König; Karl der Große liebte es, von seinen Höflingen als "der neue David" angeredet zu werden.

Im Hochmittelalter, als die wunderschönen Glasfenster gefertigt werden konnten, tauchte der harfespielende König in den Fenster in der Nähe des Chorgestühls auf. Besondere Bedeutung wird der Szene in 1. Samuel 16 bei bemessen, in der das Harfenspiel des jungen Davids den von dunklen Stimmungen geplagten König Saul, seinen Vorgänger, besänftigt. Seitdem ist die Harfe durch die Jahrhunderte immer von einem merkwürdigen Hauch von Transzendenz begleitet. Gleichgültig, in welcher Zeit sie betrachtet wird, wird ihr Klang als Magie göttlicher, dämonischer, natürlicher und übernatürlicher Mächte gedeutet. Man denke hier auch an den den griechischen Gott Apollo oder an Orpheus, der singend und auf der Harfe spielend in die Unterwelt zog, um seine Frau vom Tod zu befreien.

Die älteste Harfe könnte, wenn es sich nicht um einen Jagdbogen handelt, um 30.000 v. Chr. gespielt worden sein. Man bezieht sich hier auf eine Felszeichnung in einer Höhle bei Ariége.

Traut Euch in eine dieser alten Kirchen rein und macht Eure Entdeckungen. Vielleicht erinnert Ihr Euch an die eine oder andere meiner Erklärungen. Das nächste Mal setzen wir unsere Reihe fort mit dem Wort "Herz".

Nun schließe ich wieder mit den Worten: "Möge Euch ein Lichtstrahl des liebenden Vaters treffen, bis die Steine der Gemäuer der alten Kathedralen das nächste Mal zu uns sprechen."

© Thalassa von Kerygma




Aufruf an Alle !!!

Vielen Dank für die Reaktionen auf unseren Aufruf in der letzten Ausgabe. Da wir nicht genug bekommen können wiederholen wir den Aufruf diese Woche für alle die ihn bisher nicht gelesen haben oder sich bisher noch nicht entschließen konnten.

Das Tagblatt ist ein Projekt von Spielern für euch Spieler. Damit dies auch weiter gelingt, benötigen wir eure Mithilfe. Diesen Tag möchten wir nun auch dafür nutzen und euch alle dazu aufrufen, mit zu machen. Wir sind uns sicher, dass unter euch viele kreative Köpfe sind. Lasst uns daran teilhaben. Ob es nun ein einzelner Beitrag ist oder ob ihr regelmäßig etwas zu sagen habt. Alles ist willkommen. Und dabei sind der Fantasie kaum Grenzen gesetzt. Zum Beispiel begeistert ihr euch für Sachbeiträge rund um das Mittelalter, schreibt eure Überlegungen zu Gewinnstrategien in Kapiregnum nieder oder ihr verfasst selbsterdachte Geschichten. Die Texte sollten sich entweder um das Mittelalter oder Kapiregnum drehen. Und, was am wichtigsten ist: eure Texte stammen aus der eigenen Feder. Plagiate, das heißt von Anderen Kopiertes, kann aus rechtlichen Gründen nicht verwendet werden. Wir würden uns freuen, von euch zu hören. Ihr fühlt euch angesprochen, würdet gerne mehr erfahren? Oder ihr habt bereits einen Text verfasst? So sendet eine Taube an das Tagblatt. Wir sind sehr gespannt auf eure Einsendungen.

Euer Tagblatt-Team

Schlitzohr

Als Schlitzohr bezeichnen wir listige Menschen, die nicht immer auf dem ehrlichsten Weg ihre Vorteile suchen.

Dieser Begriff ist mit der heutigen Verwendung bereits seit dem 19. Jahrhundert hinterlegt.

Ihren Ursprung hat die Redewendung wohl im Mittelalter. Damals war es üblich, Verbrecher und solche, die man dafür hielt, zu zeichnen. Im günstigsten Fall wurde man an den Pranger gestellt und jeder konnte es sehen. Diese Bestrafung war erledigt, sobald die Person vom Pranger befreit war und das Vergehen konnte in Vergessenheit geraten.

Etwas schwerere Verbrechen wurden mit einer lebenslangen Zeichnung des Verurteilten bestraft. Und eine dieser Bestrafungen war das Schlitzen des Ohres. Angewandt wurde es zum Beispiel bei Betrug. Wer so gezeichnet war, hatte es für den Rest seines Lebens schwer, eine ehrliche Arbeit oder die Anerkennung seiner Mitmenschen zu erwerben.

Eine andere Erklärung ist in den Zünften zu suchen. Im Mittelalter waren alle Handwerker in Zünften organisiert. Dort herrschten strenge Regeln und Sitten. Wer gegen diese Bestimmungen verstieß, konnte aus der Zunft ausgeschlossen werden. Und dem Verstoßenen wurde dann der Ohrring, das Erkennungszeichen der Zunft, aus dem Ohr gerissen. Ihm war es für den Rest seines Lebens nicht mehr möglich, die Aufnahme in eine Zunft zu erreichen, da für jedermann erkennbar war, dass er gegen Zunftregeln verstossen hatte.

Für das Annageln von Ohren an die (Kirchen-)Tür gibt es keine Belege. Auch ist dies ein schwieriges Unterfangen und dürfte daher eher der Fantasie eines Redewendungs-Forschers entsprungen sein.

© St.Kortiniburg - Die Handelsgilde

Anmerkung der Redaktion:
Ihr kennt auch Sprichwörter und Redewendungen, deren Ursprung im Mittelalter liegen und könnt diese erklären? Sendet eine Taube mit eurem Text an das Tagblatt.



Kindheit im Mittelalter

Teil 3

DDie Ärzte empfahlen damals, die Kinder immer neu zu wickeln, sobald die getragene Windel beschmutzt war. Leider wurde dieser Anweisung aber nicht immer gefolgt. Ein Grund dafür war, dass die Säuglinge nicht nur eine Windel trugen, sondern dass der ganze Körper mit Bändern und Tüchern eingewickelt war, sodass nur der Kopf heraus sah. Diese Säuglinge erinnerten an kleine Larven und/oder Mumien. Leider litten diese Säuglinge häufig an wunden Körperstellen oder Karbunkeln, wenn das Kind zu lange in seinen Exkrementen lag und auch nicht oft gebadet wurde. In ärmeren Familien war ein Bad damals leider Luxus – Kinder aus wohlhabenden Familien wurden häufiger gebadet. Aber warum wickelte man im Mittelalter den gesamten Babykörper (bis auf den Kopf), und nicht nur, wie heute, den Genitalbereich? Man glaubte früher, dass die Kinder sich die Augen auskratzen, die Ohren abreißen, die Knochen verrenken oder brechen würden oder gar beim Anblick ihrer eigenen Gliedmaßen erschrecken würden, wenn sie sich frei bewegen dürften. Und direkt nach der Geburt sollte so das Geburtstrauma gemildert werden.

Der Schlafplatz

Seite 2 von William Blake's A Cradle Song (1789)In allen Gesellschafts- schichten war es üblich, dass Säuglinge in einer Wiege schliefen. Körbe oder Zuber wurden bei ärmeren Leuten zur Wiege umgestaltet. Die frühesten bildlichen Darstellungen einer Wiege stammen aus dem 13. Jahrhundert, man kann aber sicherlich annehmen, dass sie in einfacher Form auch schon früher verwendet wurden. Das Schlafen in der Wiege hatte nach dem Volksmund drei Vorteile: 1. das Kind schlief schneller ein, 2. der Gleichgewichtssinn würde durch das Schaukeln der Wiege besser trainiert und 3. Sicherheit. Im eigenen kleinen Bettchen zu schlafen war sicherer, als im Bett der Eltern oder der Amme zu schlafen, wo es Gefahr lief, erdrückt oder erstickt zu werden.

Sitzen – Gehen – Sprechen

Schon im Mittelalter ging man davon aus, dass sich Kinder unterschiedlich schnell entwickeln. So zwang man sie nicht zum Sitzen oder Gehen, sondern wartete ab, bis das Kind diesen Drang selbst verspürte. Schuhe wurden den Kindern erst angezogen, sobald sie laufen konnten. Ammen wurden ermahnt, darauf zu achten, dass die Kinder die ersten Schritte auf glatten und ebenen Böden machen würden. Damals glaubte man, das dass Sprechenlernen im Zusammenhang mit den Milchzähnen steht: waren noch keine Milchzähne vorhanden, so konnte das Kind selbstversändlich nicht sprechen. Außerdem waren viele damalige Gelehrte der Meinung, dass Kinder die Sprache nicht systematisch, sondern durch Nachahmung erlernen. Stetiges Ermutigen und Loben seien von Vorteil.

Catherine Grey, Gräfin von Hertford, mit ihrem ältesten Sohn Edward Seymour, Lord Beauchamp (ca. 1562)

© DaLaDorf



<<< zurück Tagblattarchiv weiter >>>