Da war doch noch was...herrje, nun liegen gut fünf Wochen zwischen Ankündigung und Fortsetzung. Das war so nicht beabsichtigt, verzeiht! Jedoch, andererseits, so schlecht ist der Zeitpunkt eigentlich gar nicht. So pünktlich zu Weihnachten, wo sich ohnehin vieles um's Essen dreht...
Da herrscht dann endlich wirklich Frieden an der Festtagstafel, da störende Subjekte vorab verwurstet und eingekocht wurden.
In den Topf mit der Oma, ehe sie sich, im Moment der andächtigsten Stille, wie jedes Jahr wieder wünscht, sie wäre endlich tot und die Stimmung zum Kochen
bringt. So kocht die Stimmung wirklich!
Statt Gänseleber eben Menschenleber mit Rosmarinkartoffeln und Absinth, statt Ochsenbäckchen im Römertopf auf Portwein eben Menschenbäckchen in den Port gerömert, statt Mozzarella-Sticks gibts dann Fingerfood im wahrsten Sinne des Wortes! Anthropophagie mit Sauce sozusagen.
In der heutigen Ausgabe möchte ich einen Überblick über die verschiedenen Spielarten des Kannibalismus geben, ehe wir dann, in zwei weiteren Teilen, in dessen mythologischen Tiefen wühlen. Darauf folgen noch zwei bis drei Teile, welche sich mit Spezialdisziplinen des Kannibalismus beschäftigen. Dies als Ausblick.
Wie so viele Dinge kennt auch der Kannibalismus verschiedenste Spielarten. Um den Rahmen nicht zu sprengen, führe ich folgend nur einige wenige davon auf. Er ist unter anderem zu unterscheiden in: mythisch begründeten, in religiösen, in rituellen, in pietätischen, in magischen, in justiziellen, in medizinischen Kannibalismus, als auch in Kannibalismus aus Angst und aus Ernährungszwecken in extremen Notlagen.
Der Kannibalismus stand im Mittelalter sinnBILDlich für die Angst vor allem Fremdem, Unbekanntem usw. In den Köpfen vieler auch wohl noch bis heute. Beinahe alle menschlichen Gesellschaften belegen ihn mit einem Tabu, daher wurzelt er so tief.
Archäologische Funde und wissenschaftliche Untersuchungen belegen den Kannibalismus von der Vorzeit über die Antike bis zur heutigen Zeit.
Was knusperte Homo erectus, wenn er abends in seiner Höhle am Feuer lag und er gelangweilt das nicht stattfindende Treiben vor der Höhle betrachtete?
Was knusperte der spätere Neandertaler abends in seiner Höhle am Feuer, als vor der Höhle für ihn noch immer nicht viel interessantes geschah?
Wovon berichtete der griechische Geschichtsschreiber, Geograph und Völkerkundler Herodot um 450 v. Chr.?
Wovon ernährten sich christliche Kreuzritter 1098 im syrischen Maarat an-Numan, nachdem Esel und Schlachtrösser vertilgt waren?
Was schlachteten die Azteken bei religiösen Schlachtfesten?
Welchen Missionar verspeisten am 21.Juli 1867 die Bewohner eines Dorfes auf den Fidschi-Inseln , weil dieser dort die Haare eines anderen berührte, was in jenem Landstrich als schwere Beleidigung gilt? Richtig, Thomas Baker, bei dessen Nachfahren sich die Nachfahren der Inselbewohner im Jahr 2003 feierlich entschuldigten.
Diese Beispiele zeugen von den unterschiedlichsten Kannibalismus-Motiven.
Zwar wurde, wie im Falle der Kreuzritter, siehe oben, immer wieder mal von Kannibalismus berichtet, erste ausführliche und detailierte Berichte über sogenannte anthropophage Wesen und Völker, vom griechischen anthropos (Mensch) und phagein (essen), die in und durch die alte Welt drangen, stammen von Marco Polo und John Mandevilles.
Ende des 13.Jahrhunderts kursierte Polos "Beschreibung der Welt", das als "Le divisament dou mounde" in die Literaturgeschichte einging und von welchem noch heute rund 150
Handschriften, auch in anderen Sprachen, erhalten sind.
70 Jahre nach Polo wimmelte es auch in Mandevilles "Voyages" von Menschenfressern, welche sich ebenfalls im fernen Asien verlustierten.
So berichtete Polo von Bewohnern der chinesischen Provinz Fukien, die Menschenfleisch verspeisten, da sie dieses für schmackhafter als jedes andere hielten. Mandeville seinerseits berichtet von Riesen in Indien, die Menschenfleisch lieber verzehrten als tierisches, vielmehr die Milch der Tiere zum Menschenfleische reichten. Einen ähnlichen "Lifestyle" werdet ihr bei einem Wesen in den kommenden Teilen finden.
Jedenfalls beschreiben beide, jene Wesen als viehisches Geschlecht und oft als hundsköpfig.
Womit es ethymologisch interessant wird.
Die "Caniba" wurden mit Kolumbus´Berichten populär. Kolumbus kannte die beiden Reiseberichte Polos und Mandevilles gut, je ein Exemplar befand sich in seinem Besitz.
Am 4. November 1492 findet sich im Bordbuch Kolumbus' eine Eintragung, in welcher er berichtet, dass er von Leuten mit nur einem Auge hörte und von andren mit Hundeschnauzen.
"Diese fräßen Menschen, sie köpften alle, die sie fingen, söffen ihr Blut und schnitten ihnen das Geschlecht ab."
Es wird jedoch stark vermutet, dass Kolumbus hierbei, beeinflusst von Polo und Mandeville, die Informationen seiner indianischen Vertrauten falsch interpretierte und übersetzte. Denn immer wieder ist in seinem Bordbuch, an Polo und Mandeville anknüpfend, die Rede vom Reich des Großen Khans, von Kathay und den Tataren. Schließlich nahm Kolumbus bis zu seinem Tode 1506 an, er habe den westlichen Seeweg zu den asiatischen Reichen entdeckt und nicht die karibischen Inseln um Hispaniola. Wobei angemerkt sei, dass er diesen Berichten über die "Canibales" zumindest skeptisch gegenüberstand.
Dennoch tauchte in einem Bordbucheintrag von 23.November 1492 erstmals das Wort "Canibales" auf. Damit sollte er jenes Wort schaffen, dass bis heute als Kannibalen verwendet wird und mit der alten, wortgetreuen griechisch-lateinische Übersetzung, Anthropophagie oder Menschenfresser, konkurriert.
Dass sich das Wort "canibales" durchsetzte und nicht eines der anderen im Bordbuch geführten, z.B. "caribes", erklärt sich mit dem spanischen Wort "can" für Hund. Kolumbus nahm ja an, nach Asien vorgedrungen zu sein und mutmaßte somit, dass es sich bei den "Canibes" wohl um die Untertanen des "Gran Can", also des "Großen Khans" handeln müsse.
Mit der - aus eurozentrischer Sicht - beginnenden Zeit der Entdeckungen beginnt auch die Kolonialzeit und mit ihr die Funktionalisierung des Kannibalismus. Bis ins 20.Jahrhundert hinein stellt er einen willkommenen Anlass dar, um (tatsächliche oder angebliche) Wilde zu missionieren, zu unterwerfen, auszuplündern. Selbst als viele Forscher den Vorwurf des Kannibalismus zumeist als üble Nachrede entlarven.
So vergleicht Michel Eyquem de Montaigne in "Des cannibales" von etwa 1580 den Schrecken der Inquisition mit dem des Kannibalismus und stellt fest: "Es ist barbarischer, einen Menschen lebendig zu verbrennen, als ihn tot zu verspeisen."
Zumal angesichts der Tatsache, dass sich bei den öffentlichen Verbrennungen zahlreiche ausgehungerte Schaulustige ihre leeren Mägen mit dem angenehmen Duft bratenden Fleisches füllten.
Das muss, auch wenn noch vieles geschrieben werden könnte, als kleine Einführung in den Kannibalismus von meiner Seite genügen.
Im nächsten Teil besuchen wir eines jener alten Wesen, so wascht euch bis dahin maximal einmal wöchentlich, Samstags, oder wollt ihr etwa appetitlich sein?