Marxellus fesselte Darnus an sein Bett, strich seinem Sohn über das Gesicht und schloss das Zimmer. Cherubias trug Belsendra in ihr Zimmer und legte sie auf ihr Bett. Er setzte sich zu ihr, strich ihr über die Wange. Wie in einem Reflex griff sie zu und klammerte sich an ihm fest. Cherubias lächelte, setzte sich auf das Bett und hielt sie einfach fest, während sie schlief. Irgendwann schlief auch er ein.
Noch drei weitere Male musste Darnus in den Tempel gebracht werden. Zu lange hatte er unter Clavius' Einfluss gestanden. Zu sehr hatte Clavius den Verstand des Mannes vernebelt. Drei weitere Male trug Cherubias Belsendra aus dem Tempel.
Dann traf er auf seinen Bruder, der ihn das erste Mal mit ungetrübtem Blick und klarem Verstand ansah. "Cherubias?" Darnus sah ihn an. "Bruder?" "Ja!" "Ich fühle mich wie aus einem Albtraum erwacht." "Der ist nun vorbei." "Ich habe Fragen. Viele Fragen." "Wir haben viel zu reden. Und eine lange Reise vor uns." Darnus nickte müde ein.
Auch die folgenden Nächte verbrachten Marxellus und Cherubias vor dem Tempel. Diesmal war Erebian in den Händen der Priester. Doch in diesen Nächten war etwas anders. Darnus war bei ihnen. In diesen Nächten erfuhren sie auch Darnus' Geschichte, die Cherubias zum Teil ausfüllen konnte.
Tatsächlich hatte man Darnus entführt. Zusammen mit anderen Kindern fand er sich alsbald in einer Schule wieder. Diese Schule reiste mit der Gauklertruppe um Clavius. Manche Kinder waren geschickter als andere. Die schlechtesten verschwanden aus der Schule. Die geschickteren lernten dort Taschendiebstahl, Einbrechen und ähnliches. Später wurden sie in eine weitere Truppe abkommandiert. Auch diese Truppe folgte den
Gauklern. Dort lernten sie Einbrechen, Taschendiebstähle, Mord und Entführung. Und vom ersten Tag an wirkte Clavius seine Zauber auf die Kinder. Auch als sie schon keine Kinder mehr waren.
Der Zauber wurde so stark, dass Clavius irgendwann nicht mehr nachhelfen musste. Die Reise ging nach Norden, dann nach Süden. Die verschwundenen Gaunerkinder wurden verkauft oder landeten bei den anderen Sklaven. Clavius hatte zwei Tore gefunden, die die Sklaven freilegen mussten. Wer nicht spurte, wurde gnadenlos geprügelt oder getötet. Es gab nicht nur Männer in Clavius' Truppe, die unter Zwang dienten. Auch einige gescheiterte Existenzen hatten sich freiwillig angeschlossen. Immer weiter hatte sich die Spirale gedreht. Darnus und Erebian waren jung zu Clavius gekommen, hatten sich als geschickt erwiesen und standen fest unter seinem Einfluss. Wie durch Nebel hatten sie die Jahre erlebt. Sie hatten sich nicht wehren können. Viele Erinnerungen aus der Zeit vor der Entführung waren entschwunden.
Marxellus und Cherubias hatten der Geschichte in den Nächten gelauscht, während die Priester an Erebian arbeiteten. Während Darnus erzählte, saß Cherubias neben seinem Bruder. Oft legte er den Arm um ihn. Wenn die Priester im Tempel fertig waren, nahm Cherubias Belsendra und trug sie, während Darnus und Marxellus Erebian trugen. Erebian war einen ganzen Kopf größer und auch kräftiger als Darnus. Die beiden Männer mühten sich mit Erebian jeden Morgen aufs Neue ab. Bei Erebian musste das Ritual sogar noch öfter wiederholt werden. Doch auch seinen Fluch konnten die Priester mit Hilfe der Druidin bannen.
Nach diesen Prozeduren ließen sie noch einige Tage ins Land gehen, weil Darnus und Erebian sich erholen mussten. Ihre Körper war von der Prozedur geschwächt und auch ihr Geist musste sich erst an das Leben ohne die Umnebelung durch Zauber und Tränke gewöhnen. Am meisten unter diesen Prozeduren jedoch hatte Belsendra gelitten. Die ersten Tage nach Erebians letzter Heilsitzung hatte sie komplett das Bett hüten müssen. Cherubias saß an diesen Tagen fast ununterbrochen an ihrer Seite und schlief in einem unbequemen Holzsessel direkt neben ihrem Bett. Jede Stunde öffnete sich die Tür und Darnus brachte ihm einen Krug Wasser und etwas zu essen. So stand immer etwas bereit, wenn sie einen Augenblick erwachte und Hunger oder Durst bekam. Manchmal setzte sich Darnus zu seinem Bruder und wachte über den Schlaf beider. Denn auch Cherubias Körper schien plötzlich die Ruhe zu verlangen, die ihm in den letzten Monaten verweigert worden war.
Soviel die Brüder auch nachzuholen hatten, den Versuch, die ganze verlorene Zeit auf einen Schlag nachzuholen unternahmen sie nicht. Während Darnus sich um seinen Bruder kümmerte, hatte Marxellus mit Erebian andere Probleme. Erebian hatte die Kämpfernatur seines Vaters geerbt. Und diese brach in dem Jungen durch. Anders als bei Marxellus war sein Leben nicht durch Kämpfe geprägt worden, in denen fast gleichwertige Gegner alle Kräfte forderten, sondern durch das überhebliche Jagen von Unterlegenen.
Darnus hatte Züge angenommen, die Cherubias auch von sich kannte. Er war im Grunde ein überlegender Mensch und konnte auch in einfachen Dingen Großartiges entdecken. Erebian betrachtete alles und jeden mit einer Geringschätzigkeit, die ihresgleichen suchte. Er sah in seiner neuen Freiheit auch den Vorteil, nun zu seinem eigenen Vorteil kämpfen zu können. Dass er bisher aber nicht wirklich gekämpft hatte, sondern mit einer Bande heimtückischer Mörder hinterrücks nur unterlegene Ziele angegriffen hatte, konnte sein Vater ihm nicht begreiflich machen. Tagelang versuchte Marxellus, Zugang zu seinem Sohn zu finden, doch Erebian machte keine Anstalten, für seinen Vater ein Ohr zu öffnen.
Direkt aus dem Kaiserpalast hat uns die obige Warnung erreicht. Die Obrigkeit bittet dringend, beim Auftauchen zwielichtiger Gestalten Vorsicht walten zu lassen!
Die soziale Stellung und das Ansehen der Beschuldigten spielten in der Strafverfolgung eine Rolle. Unfreie
wurden wesentlich eher gefoltert als Freie, waren sie doch nicht eidesfähig. Wohlhabende konnten sich von
bestimmten Strafen durch Geldbuße eher ablösen, als Mittellose. Wer kein Geld hatte, zahlte mit der Haut.
Gnadenerweise der Gerichte betrafen zumeist eine Verringerung der Ehrverletzung (Enthaupten statt Rädern) oder
eine Verkürzung des Leidens.
Beispiele für Hinrichtungen
In Berlin fanden von 1402 bis 1448 99 Hinrichtungen statt (reichlich 2 pro Jahr): 51 Verurteilte wurden
gehenkt, 14 verbrannt, 13 enthauptet, 11 gerädert, 10 lebendig begraben.
454 Hinrichtungen (ca. 6 bis 7 pro Jahr) gab es von 1456 bis 1525 in Breslau, dabei 251 Verurteilte Gehenkt,
103 enthauptet, 25 gerädert, 39 verbrannt, 31 ertränkt, 3 lebendig begraben, 2 gevierteilt.