Ausgabe 188 | Seite 4 20. Februar 2011 AD
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Fabelwesen Teil 33

der Physiologus

Wie letzten Sonntag angedroht, blättern wir heute ein wenig genauer in einem der frühzeitlichen Bestiarien. Selbstredend nicht in irgendeinem, sondern in dem im Mittelalter mit am weitesten verbreiteten Buch, dem "Physiologus". Somit gibt es also endlich!? wieder etwas mehr Information und weniger Unfug als vergangene Woche.

Die meinerseits verbreiteten Informationen prüft ihr natürlich sorgfältig in konzentrierter Heimarbeit nach, schließlich wollt ihr mir ja nicht alles glauben, oder?
Jedweder Autor sollte in Frage gestellt werden, wahrhaft jedweder. Selbst jene, bzw VOR ALLEM jene, welche via stiller Post die Bibel schrieben.
Wer dies unterläßt, wird mehr und mehr seltsam und am siebten Tage dann letzenendes ein völlig weltfremder Anhänger des Kreationismus.
Allerdings nur bei Sonnenschein am siebten Tage. Ist es kalt und regnerisch, bekommt der Satanismus einen neuen Zombiefresser. Das Ganze verhält sich ähnlich der temperaturabhängigen Geschlechtsfestlegung, wie sie beispielsweise bei Schildkröten und Krokodilen vorkommt.

Aber genug davon, für derartiges bleibt später vielleicht noch Raum, schließlich hatte ich andersartige Informationen angekündigt.
Der Physiologus also ist eine in griechischer Sprache verfasste frühchristliche Naturlehre und bedeutet übersetzt soviel wie "der Naturkundige". Der ursprüngliche griechische "Physiologus" entstand, so wird vermutet, im 2.Jahrhundert n.Chr. im ägyptischen Alexandria.
Aus 48 Abschnitten bestehend, behandelt er zumeist reale, aber auch Fabelwesen. Doch ein Baum und einige Steine finden sich darin ebenfalls. Ein späterer byzantinischer "Physiologus" enthält 6 Zusätze. Ab dem 4.Jahrhundert entstanden stärker moralisierende Versionen, unter anderem eine mit 30 Abschnitten, welche dem Kirchenvater Basilios zugesprochen wird.

Basilios, schon zu Lebzeiten "Basilios der Große" genannt, wurde im Jahr 330 im kappadokischen Caesarea geboren, wo er 379 auch verstarb. Kappadokien ist eine Landschaft im heute türkischen Zentralanatolien und Caesarea beheimatet heute als Kayseri etwa 500.000 Menschen.
Basilios gilt als Asket, Bischof und Kirchenlehrer als eine der herausragenden Gestalten des frühen Christentums und gehört zu den bedeutendsten der Kirche überhaupt. Zusammen mit seinem Bruder Gregor von Nyssa und deren gemeinsamen Freund Gregor von Nazianz, werden sie als die drei kappadokischen Kirchenväter bezeichnet. Die Bezeichnung Kirchenvater wird einem christlichen Autor der ersten acht Jahrhunderte zuteil, welcher mittels seiner Schriften entscheidend zu Lehre und Selbstverständnis des Christentums beitrug.

Der Autor, auf den sich das ursprüngliche Werk bezieht und den es zitiert, gilt als anonym. In einigen Bearbeitungen verbindet man Persönlichkeiten wie Aristoteles oder Plinius den Älteren damit. In allen älteren Bearbeitungen nennen sich die Autoren in der Regel nicht, in späteren Versionen tauchen sie nur gelegentlich auf. Die Wissenschaft geht heute davon aus, dass der "Physiologus" von der Spätantike bis ins Mittelalter hinein als eine Art Gemeingut angesehen wurde.

Die einzelnen Kapitel sind zumeist dergestalt, dass nach einer das Tier benennenden Einleitung, die formelhafte Wendung "der Physiologus sagt..." folgt. Darin werden Aussagen über das Verhalten des jeweiligen Tieres in bestimmten Situationen getan. Aus diesen Beschreibungen von Charakter, Verhalten und Eigenschaften des Tieres wird anschließend eine Analogie zur christlichen Heilsgeschichte hergestellt.

Mal werden symbolische Parallelen zu Christus, seinem Opfertod, seiner Auferstehung oder der Erlösung gezogen. Mitunter geben die Tiere auch Beispiele für christliche Tugenden.
Ziel war also weniger die naturkundliche Information der Leserschaft, ganz im Gegensatz zu den antiken Vorlagen, in denen die Natur im Vordergrund stand. In den christlichen Versionen geht es um die Beweise, um die sichtbaren Zeichen einer im umfassenden christlichen Heilsplan ersonnenen Schöpfung.
Die meisten Kapitel enden mit der Formel "Wohlgesprochen hat der Physiologus über...".
In den christlichen Versionen, beispielsweise der nach Basilios, schließt sich noch eine moralisierende Auslegung an.

Der "Physiologus" fand für damalige Verhältnisse eine schier unglaubliche Verbreitung. Im 5.Jahrhundert wurde er ins Äthiopische übersetzt, sowie mehrmals ins Syrische. Darüberhinaus ins koptische, armenische, sowie in zwei arabische Dialekte. Aus dem 15.Jahrhundert existieren Exemplare georgischer und russischer Sprache. Ab dem 16.Jahrhundert auch im Rumänischen bekannt, folgen Übersetzungen ins Serbische, Bulgarische und Tschechische.

Größte Bedeutung kam den lateinischen Physiologi zu. Erste Übersetzungen datiert man auf vor 431 n.Chr. und früheste erhaltene Handschriften auf die Zeit zwischen dem 8./9.Jahrhundert. Aus diesen lateinischen Versionen gingen die deutschen Bearbeitungen hervor, ebenso bildeten sie die Grundlage aller mittelalterlichen Bestiarien. Als älteste germanische Übertragung berachtet man eine angelsächsische poetische Bearbeitung aus dem 9.Jh. Darauf folgen zwei weitere englische Fassungen, sowie eine flämische und eine isländische Version.

Die älteste deutsche Übersetzung, der "Althochdeutsche Physiologus", Übersetzung einer lateinischen Dicta-version, entstand um das Jahr 1070. Die von ursprünglichen 27 noch erhaltenen 12 Kapitel sind in einer Wiener Handschrift überliefert. Als Ursprung des Textes vermutet man das im nördlichen Schwarzwald gelegene Kloster Hirsau. Nach den ersten 12 Tieren bricht der Text allerdings im Eidechsenkapitel ab.

In digitalisierter Form, nebst Illustrationen, einzusehen hier:
Auf der Seite der Hochschule Augsburg: suche nach Physiologus

Aus frühmittelhochdeutscher Zeit ist, neben dem gereimten "Millstätter Physiologus", der "Wiener-Prosa-Physiologus" erhalten. Beide gehen auf eine lateinische Dicta-Version zurück und sind in Sammelhandschriften zwischen der althochdeutschen Genesis- und Exodus-Erzählung angesiedelt. Der "Prosa-Physiologus" besteht aus 27 Kapiteln und wird auf das Jahr 1200 datiert. Er ist in bairisch-österreichischem Dialekt mit schwäbischen Einsprengseln gehalten. Die Bibelzitate sind "eingedeutscht", was darauf hindeuten könnte, dass diese Version für den Vortrag vor Laien gedacht war.

Aus dem 15.Jahrhundert existieren drei weitere deutsche Bearbeitungen, allerdings endet im 15.Jahrhundert die Weitergabe des Physiologus zum größten Teil. Zwar leben die Ausdeutungen fort, aber der "Physiologus" als eigenständiges, literarisches Werk existiert nicht mehr.

Der "Physiologus" wirkte sich sehr nachhaltig auf die bildende Kunst und Literatur des Mittelalters wie auch der Neuzeit aus. Konkrete Bezüge finden sich neben geistlichen, auch in weltlichen Texten. Noch im Don Quixote von Miguel de Cervantes aus dem 17.Jahrhundert beziehen sich die Berichte von Einhorn, Phönix usw auf den "Physiologus".
Besonders entfaltete sich der "Physiologus" aber in der christlichen Ikonographie. Der Löwe, der seine Jungen durch Anhauchen belebt, der Pelikan, welcher mit seinem Blut die vorher von ihm selbst getöteten Jungen wieder belebt, und dergleichen mehr sind Motive, die auf den Physiologus zurückgehen.

Abschließend seien noch einige weitere Versionen des "Physiologus" genannt:
- die "Etymologia de animalibus" des Isidor von Sevilla aus dem 6./7.Jh.
- "de bestiis et aliis rebus" von Honorius Augustodunensis aus dem 11.Jh.
- das "Bestiarie" des Philippe de Thaon aus dem Jahre 1121
- "el libro de los seres imaginarios" von Jorge Luis Borges aus dem Jahr 1974
- "le bestiaire spirituel" von Paul Claudel aus dem Jahr 1984

Dies sollen genug Zeilen von meiner Seite sein. Ich hoffe es war einigermaßen informativ und unterhaltsam. Weitere Ausführungen schenke ich mir aufgrund des bereits beträchtlichen Umfangs dieses Artikels.

In diesem Sinne, bis zum nächsten, vorletzten, Fabeltag!

© Singularis Porcus


"Abi in malam crucem!"

"Geh zum Teufel!"

(Plautus)

© Mausburg




Aus dem Archiv

Die Briefe Roderichs

5. Brief

Seyd gegrüßt, geehrter Herr Vater, sehr verehrte Frau Mutter,

mit stolzgeschwellter Brust vermag ich Euch hier zu berichten, dass den Edlen des Rates dieser wunderschönen Stadt mein Tun zu Gehör gebracht wurde, insbesondere ward ich mit Lob für die Beschäftigung der Armen des Landes bedacht. Man geruhte auch zu erwähnen, dass dieser mein bescheidner Beitrag zur Verringerung der Strauchdiebe rund um die Stadt geführt habe. Der Bürgermeister deroselbst verlieh mir hierauf eine goldene Medaille und übergab mir einige Säckel Goldes mit der Bitte, mich weiter so trefflich zu bewähren. Meine Freude darob war unbeschreiblich.

Mehr noch, verehrter Herr Vater, gütige Frau Mutter, bekam ich alsbald darauf Besuch von dem bereits bekannten wohlwollenden Herrn, der mich aufs Neue zum Abendmahl lud. Er fragte mich nach meinen Fortschritten und berichtete mir von der allseits gerühmten Handelsgilde. Als ich zauderte, ermutigte er mich, bei deren Ratsmitgliedern eine Bewerbung vorzulegen. Noch ehe der Tag graute, begab ich mich in mein Arbeitszimmer und verfasste säuberlichst dieses bedeutungsvolle Pergament. Kaum war dies vollbracht, kleidete ich mich aufs Trefflichste und eilte in die Stadt. Der Ratssitz dieser vornehmen Gilde befindet sich mitten auf dem Hauptplatz und ist gar vorzüglich geschmückt. Jedermann kann sehen, dass hier auserlesene Baumeister zugange waren. Freundlich wurde ich empfangen und mein Anliegen wohlwollend entgegengenommen. Inständig hoffend eilte ich nach Hause und tatsächlich: alsbald erreichte mich eine Taube und verkündete frohe Botschaft. Meinem Antrag war stattgegeben worden und ich darf mich nun als Mitglied dieser hervorragenden Gilde bezeichnen.

Nun aber werde ich die Kerze ausblasen und mich zur Ruhe begeben. Ich hoffe so sehr, dass Ihr, Herr Vater und Ihr, Frau Mutter an meinem Frohlocken Anteil nehmt und verbleibe

Euer ergebener Sohn
Roderich

© Heliana
Die Handelsgilde – der Erfolg spricht für sich




Heil- und Nutzpflanzen

Die Möhre

Wilde Möhre (Daucus carota) (Tafel aus -Flora von Deutschland, Österreich und der Schweiz- von Otto Wilhelm Thomé von 1885
Die Wilde Möhre kommt als Kulturfolger in ganz Europa, Nordafrika und Kleinasien vor.

Möhren sind Doldenblütler, die von Insekten bestäubt werden. Sie blühen weiß bis rosa. Kennzeichnend ist im Zentrum der Dolde eine dunkelviolette, fast schwarze Blüte, die "Mohrenblüte". Sie hat Signalcharakter für die bestäubenden Insekten. Im ersten Jahr bilden die Pflanzen eine Blattrosette und eine kräftige Speicherwurzel aus, im zweiten Jahr dann einen bis 120 cm langen Blütenstengel. Der Speicherwurzel wegen lieben sie lockere Böden, aber sie besiedeln auch Brachflächen, Steinbrüche und Straßenränder. Die Speicherwurzel der Wilden Möhre ist bleich, nicht gelblich, denn sie enthält weniger Karotine als die Gartenmöhre. Sie enthält auch weniger Zucker und ist deswegen ziemlich kalorienarm. Aber sie ist im ersten Jahr ebenso eßbar wie die Wurzel der kultivierten Gemüsepflanze. Im zweiten Jahr verholzt die Wurzel und ist dann nicht mehr zu genießen.

Auch das Möhrengrün kann gegessen werden (Kaninchen z.B. lieben es), aber bei empfindlichen Personen kann es auf der Haut Reizungen hervorrufen.

Die Wilde Möhre war schon den Bauern der Jungsteinzeit bekannt.

Die Karotte, Gelbe Rübe, Möhre oder Wurzel ist eine Gemüsepflanze, die nur in Kultur bekannt ist. Sie dürfte im Überschneidungsgebiet der drei Unterarten der Wilden Möhre in Kleinasien entstanden sein. Ihr Blütenstand erreicht sogar 150 cm Höhe. Die ältesten Belege über die Nutzung der Wilden und der kultivierten Möhre stammen aus antiken griechischen und lateinischen Quellen. Dioskourides erwähnt sie als Arzneipflanze.

In Mitteleuropa ist die Möhre vermutlich seit der Römerzeit verbreitet. Sie läßt sich aber bei den Einträgen im "Capitulare de villis" Karls des Großen nicht sicher von der Pastinake unterscheiden. Auch die Schriften Hildegards von Bingen sind nicht eindeutig.

Für Ernährungszwecke genutzt wird die Wurzel der Pflanze. Sie ist ein Speicherorgan. Die meisten Inhaltsstofe befinden sich in der Rinde, die deswegen möglichst dick sein soll. Im zentralen Holzteil, dem Mark, befindet sich weniger Carotin, weniger Saccharose, aber mehr Nitrat.

Je nach Sorte fallen die Wurzeln sehr formenreich aus, auch die Farbvarianten sind sehr bunt: es gibt hell-orange, dunkelrote, orange, weiße oder violette Möhren.

Die Speisemöhre enthält den höchsten Carotingehalt aller Gemüsepflanzen. Ihr Kaliumgehalt wirkt harntreibend, der hohe Pektingehalt wirkt leicht stopfend. Möhren sind förderlich für die Blut- und Zahnbildung, außerdem regulieren sie die Magensaft-Absonderung. Das in den Möhren reichlich enthaltene Provitamin A ist wichtig für die Hautgesundheit.

Viele Wirkungen betreffen die innersekretorischen Drüsen des Menschen - auch bei Gallen- und Nierensteinen sollen sie helfen, Ödeme verringern, milchtreibend sein, aber auch bei Menstruationsstörungen wirken.

Das in der Mohrrübe enthalte Falcarinol, auch Carota-Toxin genannt, schützt die Pflanze vor Pilzbefall und kann bei Säugetieren die Krebsentstehung hemmen. Im Mittelalter und der frühen Neuzeit hat man tatsächlich Möhrenbrei bei offenen Tumoren angewendet!

Aus den Möhrensamen wird das ätherische Karottensamenöl gewonnen. Es wird als Geschmackszusatz z.B. in Likören und Backwaren, in Konfekt und in Fleischzubereitungen verwendet.

Als Geruchskomponente rührt man es in Seifen, Lotionen und Parfums. Auch in der Aromatherapie findet es Anwendung.

© Amhara zu Agorá




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