Sie befreiten die Toten von all den Dingen, die diese nun nicht mehr benötigten, wozu besonders Waffen, Vorräte, Wertgegenstände und Gold zählten. Sie verstauten diese und auch ihre Fracht auf drei Pferden. Adular wurde von seinem Geschirr befreit und flotten Hufes ritten sie weiter durch die Wüste. "So ein Gaul bringt uns mindestens hundert Goldstücke ein, oder behalten wir sie, um dann Waren auf dem nächsten Stück zu befördern?" brüllte Marxellus, während sie im schnellen Trab durch die Wüste eilten. "Ich denke, wir verkaufen die Pferde und besorgen uns ein paar andere. Es würde keinen guten Eindruck machen, wenn wir auf Freunde der rechtmäßigen Eigentümer träfen." "Dann aber mindestens drei, der arme Adular muss nicht mehr schleppen!"
Der Ritt durch die Wüste dauerte weitere zwei Tage,dank der Pferde zwei Tage weniger. Sie erreichten Darlum um die Mittagszeit und gaben ihre Fracht bei dem Partner des Händlers ab. Dafür kassierten sie ganze zehn Goldstücke. Auch ihre Beute verkauften sie gleich für weitere zehn Goldstücke an einen anderen Händler. Die Pferde übernahm ein Pferdehändler, der ihnen im Gegenzug drei prächtigere Reittiere zur Verfügung stellte und sogar noch zweihundert Goldstücke drauflegte. Gemeinsam zogen sie ins Gasthaus ein, genossen ein Bad und ein üppiges Mahl. Der alte Adular wurde im Stall von den Stallknechten gepflegt und ebenfalls mit bestem Futter versorgt. Cherubias hatte Marxellus seinen Anteil ausgezahlt, sodass der alte Krieger sich bei einem Krämer einige Dinge kaufen konnte. So legte er sich eine neue Armbrust zu; ein paar neue Gamaschen und auch ein neuer Mantel waren für den alten Mann Dinge, auf die er lange hatte verzichten müssen.
Cherubias hingegen nutzte die Zeit, um sich gründlich auszuschlafen, dann besuchte er den örtlichen Schließmeister und den Bürgermeister. Die Auskünfte, die er erhielt, deckten sich mit denen, die er bereits im Vorfeld erhalten hatte. So konnte der Bürgermeister bestätigen, dass Clavius in der Stadt gewesen war. Als Cherubias das Gespräch auf Entführungen und ähnliches lenkte, gab der Bürgermeister zu, dass zu dieser Zeit einige Personen verschwunden waren.
Cherubias ging grübelnd ins Gasthaus. Marxellus saß im Gasthaus und vertilgte eine Haxe. Cherubias setzte sich zu seinem Gefährten. "Ich habe mal eine dumme Frage." Marxellus sah ihn erstaunt an. "Du hast eine dumme Frage?" Cherubias nickte. "Clavius nimmt in jedem Ort Menschen gefangen." Marxellus rülpste. "Na und?" "Die Frage ist: Was macht er mit den Menschen? Er müsste eine Armee mit sich herumschleppen, wenn er diese quer durch ein Land mitnimmt." Marxellus starrte ihn mit offenem Mund an. "Da habe ich auch noch nicht drüber nachgedacht." "Vielleicht wäre diese Frage eine Klärung wert." Cherubias bestellte Hasenbraten und einen Becher schweres Bier, für welches diese Gegend berühmt war.
Sie legten sich früh schlafen und brachen auch entsprechend früh auf. Dem Burschen des Wirtes gab er noch einen Brief und ein fürstliches Trinkgeld. Dann trabte die kleine Karawane aus der Stadt. Cherubias ritt vorneweg, Adular und das Packpferd liefen in der Mitte, Marxellus machte den Schluß. Tatsächlich war Adular für einen Wolf ein erstaunlich guter Pferdeführer. Unüblich war auch, dass die Pferde nicht die geringste Scheu vor dem riesigen Tier hatten.
In den nächsten acht Tagen ritten sie tags durch die Wüste, gönnten sich aber in der schlimmsten Mittagshitze Ruhe. Am neunten Tag erreichten sie den Kanal von Lahatra.
Der Kanal trennte den Südlichen Teil des Kontinents vom Nördlichen Teil. An dieser schmalen Stelle war der Kontinent nur wenige Meilen breit, wie mit einem Gürtel zusammengeschnürt. Da das Land an dieser Stelle auch tief lag, hatten findige Buddler der Lahatra hier eine künstliche Wasserstraße angelegt und eine Abkürzung geschaffen. Die Schiffe mussten nicht mehr durchs Nordmeer oder die südliche Straße von Selandir. Die Lahatra hatten auch für Brücken gesorgt und nahmen für das Passieren Geld. Der komplette Bereich wurde vom Nordvolk der Lahatra bewirtschaftet. Die Lahatra waren größer und hellhäutiger, wenn man sie direkt mit den Gehadra verglich, zu denen auch Cherubias und Marxellus gehörten. Ihre Gesichter waren von der Sonne meist früh verwittert, sie flochten ihre langen Haare zu Zöpfen und waren hervorragende Bauherren, Ingenieure und Bergleute. Sie verkauften Erze und Schmiedewaren, im Gegenzug kauften sie gerne Webwaren. Besonders Seidenstoffe und feinere Tücher mussten sie einführen.
Cherubias hatte vor ihrer Abreise noch einige Ballen Seide, Wolle und Leinen erstanden, die sie in der Stadt Lahatra verkaufen wollten. Lahatra war der Name des Volkes, ihrer Hauptstadt und des Landes. Und Lahatra-Stadt war eine große Stadt. Sie lag auf einem Hügel, von Mauern umgeben, die über zehn Meter in die Höhe reichten. Die Wachen der Stadt lebten in den Mauern. Die fünf Stadttore waren so breit, dass zwanzig Männer sie gleichzeitig passieren konnten. Die riesigen Holzflügel waren mit dicken Eisenplatten beschlagen und konnten durch zusätzliche Gitter hinter den Toren gesichert werden. Die Stadt umgab ein tiefer Graben, über den fünf Zugbrücken führten, welche binnen weniger Augenblicke hochzogen werden konnten. Ausgefeilte Seilzüge und Flaschenzüge machten es möglich.
Das, was uns selbstverständlich ist, die Fähigkeit des Lesens und Schreibens, war für den Menschen des Mittelalters bis zu Zeit der Reformation das Vorrecht einer kleinen Minderheit. Selbst der Adel und die Könige hatten ihre Schreiber und Vorleser.
Symbole an den Wänden waren wie Bilderbücher. Hier konnte man erfahren, um was es in der Bibel eigentlich ging. Welche gewaltige Umwälzung, ja Revolution zur Zeitenwende, war die Übersetzung der Bibel durch Martin Luther im Zusammenwirken des Drucks des ersten Buches, der Bibel, durch Johannes Gutenberg. Es lernten immer mehr Kinder auch in den Dörfern Lesen und Schreiben. Jetzt hatten die Menschen einen direkten Zugang zum Wort Gottes und brauchten keine Mittler in Gestalt von Priestern mehr. Niemand konnte mehr dem anderen ein X für ein U vormachen.
Farben
Diesmal geht es um die Symbolik der Farben. Sie wurde nicht nur im kirchlichen Gebrauch benutzt, auch im Alltagsgebrauch haben die Farben ihre Bedeutung. Das werde ich in einem anderen Artikel erläutern. Das Mittelalter war viel farbiger, als wir es uns heute vorstellen. Es war eben nicht das finstere, dunkele Mittelalter. Die Gewänder waren bunter als heute.
Es gibt fünf liturgische Farben, die vom Mittelalter bis heute ihre Verwendung im gottesdienstlichen Leben sowohl in der katholischen wie auch in den protestantischen Kirchen haben. Es sind Weiß (Gold) - Grün - Violett - Schwarz und Rot und sie wechseln im Laufe des Kirchenjahrs. Das Kirchenjahr beginnt mit dem 1. Advent und endet mit dem Ewigkeitssonntag (auch Totensonntag genannt) Ende November. Die Altäre, Antependien (Tücher an der Kanzel oder dem Lesepult sowie an der Front des Altares) und Priestergewänder werden damit geschmückt.
Im Mittelalter wurden noch mehr Farben eingesetzt. Farbsymbole spielten eine große Rolle und waren Signale wie für uns heute die Straßenschilder. Es gab Unterschiede in ihrer Bedeutung im kirchlichen, ritterlichen oder alltäglichen Leben. Ich werde mich hier auf den kirchlichen Bereich beschränken. An anderer Stelle werde ich auf die Farbdeutung in der Heraldik und im alltäglichen Leben der Stadtbewohner eingehen. Dafür braucht es einen neuen Artikel.
Gold - verkörpert das ewige Licht, den Eigenglanz Gottes. Es steht für Unendlichkeit und Unsterblichkeit und ist ranggleich mit Weiß. Gold gehört zu den liturgischen Faben und wird in Altartüchern und Kanzelbehängen (Antependien) sowie bei liturgischen Gewändern in der Stola und in der Dalmatik des katholischen Diakons bzw. in der Kasel des katholischen Priesters verwendet.
Weiß - Weiß sind die Gewänder der Engel. Weiß ist die Lilie des Erzengels Gabriel, mit der er die Jungfrau Maria begrüßt. Weiß steht für Unschuld und Sündlosigkeit. Als liturgische Farbe vertritt Weiß das Gold und wird in Kanzel- und Altarbehängen (Antependien) sowie bei liturgischen Gewändern in der Stola und in der Dalmatik des katholischen Diakons bzw. in der Kasel des katholischen Priesters verwendet. Weiß ist die Farbe Christi und bezeichnet u.a. Weihnachten und Ostern sowie das Engelfest, den Michaelistag (29.09.).
Rot - ist die Farbe der Passion und des Blutes, des Opfers und der Märtyrer, aber auch der Liebe und der Macht. Als liturgische Farbe bestimmt Rot das Pfingstfest und die Gedenktage der Märtyrer und Heiligen, aber auch den Reformationstag.
Blau - ist keine liturgische Farbe. Blau steht für den Himmel, die Luft, die Wahrheit und die Treue. Marias Mantel wird immer blau dargestellt. So ist sie in jeder Gruppe von weiblichen Heiligen zu erkennen. Sie wird im katholischen Raum als Himmelskönigin interpretiert. Daher ist sie auf mittelalterlichen Bilder und Fresken rasch zu identifizieren.
Violett - Die Mischfarbe von Blau und Rot bezeichnet die Fastenzeiten. Es ist die Farbe des Opfers der Wahrheit. Violett gehört wie Rot zu den liturgischen Farben und wird in Passionszeit und Advent sowie am Buß- und Bettag in den Kirchen als Kanzelbehang und Altarschmuck gebraucht. Bei der liturgischen Kleidung der Geistlichen ist dann natürlich auch Violett die bestimmende Farbe.
Rosa - ist "eigentlich" keine liturgische Farbe. Im Bereich der römisch-katholischen Kirche hat es sich für den dritten Advent eingebürgert. Es kann auch am zweiten Passionssonntag ("Laetare") verwendet werden. Das aufgehellte Violett soll den freudigen Charakter dieser Tage betonen.
Gelb - kann Ersatzfarbe für Gold sein. Es steht für das Sonnenlicht, ist aber auch eine Negativfarbe. Es steht für Neid, Eifersucht, Verrat. Judas Ischariot, der Verräter Christi, wird mit einem gelben Gewand dargestellt. In der mittelalterlichen Kleiderordung mußten daher die Juden gelbe Hüte tragen. Eine traurige Wiederkehr ist der gelbe Davidstern unter den Nazis.
Grün - steht für Hoffnung und irdisches Wachstum. Als liturgische Farbe der Trinitatiszeit (nach Pfingsten bis Letzter Sonntag im Kirchenjahr) ist es in den Kathedralen zu finden.
Braun - ist die Erdfarbe und steht für Demut und Armut. Die Wortverwandschaft der lateinischen Wörter 'humus' = Erde und 'humilitas' = Bescheidenheit haben dazu geführt. Die Einsiedler und Mönche trugen diese Farbe. Johannes der Täfer wird immer in Braun dargestellt.
Schwarz - ist die liturgische Farbe des Karfreitags. Sie steht generell für Tod, Trauer und Hoffnungslosigkeit. So wird Judas auf einigen Bildern mit einem schwarzen Nimbus dargestellt. Es ist der Gegensatz zum goldenen Heiligenschein.
Grau - Christus wird manchmal mit einem grauen Gewand dargestellt. Grau ist hier die Vorstufe zu weiß. Christus hält sich während seiner Lebenszeit auf Erden noch verborgen. Als Weltenrichter erscheint er dann in leuchtendem Weiß. Dieses Bild ist von J.R.R. Tolkien in "Herr der Ringe" aufgegriffen worden. Aus dem Zauberer Gandalf der Graue wird bei seiner Wiederkehr Gandalf der Weiße. Tolkien war Professor für mittelalterliche Geschichte Englands und Alte Sprachen in Cambridge.
Ich wünsche Euch einen neuen Blick für die alten "Ölschinken", wenn ihr ihnen begegnet.
Möge Euch ein Lichtstrahl des liebenden Vaters treffen, bis die Steine der Gemäuer der alten Kathedralen das nächste Mal zu uns sprechen.
Eine tragische Liebesgeschichte aus dem 12. Jh. (2)
in drei Teilen
Petrus Abaelardus zählt in der Geschichte der Philosophie als ein Pionier, dessen Errungenschaft vor allem die freie und systematische Anwendung der Logik auf die Theologie war. Sie fand bei seinen Kollegen allerdings erst mehr als hundert Jahre später die gehörige Anerkennung. Erst im 13. Jh. nahm Thomas von Aquin seine Gedanken wieder auf und führte sie in der Scholastik zur allgemeinen kirchlichen Akzeptanz. Jedoch anders als er, denn Thomas meinte, Gottes Existenz durch Logik beweisen zu können.
Abaelard hatte nur wenige Freunde und Unterstützer, darunter jedoch den einflußreichen und nur dem Papst unterstellten Petrus Venerabilis, den Großabt von Cluny. Wir berichteten über ihn. (siehe Tagblatt 181)
Weitgehend im französischsprachigen Raum ist seine autobiographische „Historia calamitatem“ (Die Geschichte meines Unglücks) bekannt und der Briefwechsel zwischen ihm und Heloise, seiner Schülerin und Geliebten. In diesen Schriften geht es um die philosophischen und spirituellen Sehnsüchte, Anfragen an die Natur der menschlichen und der göttlichen Liebe, die ein Versuch waren, die Fragen zu ihrer gemeinsamen persönlichen Tragödie zu lösen.
Heloise war eine brillante Studentin der freien Künste und hatte den Ruf einer engagierten und hartnäckigen Diskussionspartnerin. Bis in jüngste Zeit hinein wurde sie von den Historikern eher als amouröser Zierrat Abaelards gehandelt - ohne eigenes Profil. Wer sich aber etwas näher mit den Gedanken und der Lebensleistung dieser Frau auseinandersetzt, wird erkennen, wie Unrecht man ihr damit tut.
Nun, wie geht es weiter, nachdem Abaelard die schwangere Heloise zu seiner Schwester entführt hat? Onkel Fulbert besteht auf einer Heirat. Abaelard willigt in eine heimliche Eheschließung ein, um den wütenden Fulbert zu besänftigen. Doch was tut Heloise? Sie stellt sich quer. In einem ihrer Briefe schreibt sie: "Nichts habe ich je bei dir gesucht - Gott weiß es - als dich selbst: dich schlechthin begehrte ich, nicht das, was dein war. Kein Ehebündnis, keine Morgengabe habe ich erwartet; nicht meine Lust und meinen Willen suchte ich zu befriedigen, sondern den deinen, das weißt du wohl. Mag dir der Name Gattin heiliger und ehrbarer erscheinen, mir war allzeit reizender die Bezeichnung Geliebte, oder gar - verarg es mir nicht - deine Konkubine, deine Dirne. Je tiefer ich mich um deinetwillen erniedrigte, desto mehr wollte ich Gnade bei dir finden und umso weniger gerade auf diese Weise dem Ruhm deiner Vorzüglichkeit schaden... wollte mich heute der Kaiser, der Herr der Welt, der Ehre seines Ehebettes würdigen und mir zusichern, für immer über die ganze Welt gebieten zu können; für süßer und würdiger achte ich’s, deine Buhlerin zu heißen als seine Kaiserin... "
Zu dieser Zeit durfte Abaelard als Kleriker und Theologe noch heiraten, aber sie war der Überzeugung, dass ein Philosoph sich von weltlichen Dingen fern halten müsse. Sie wäre viel lieber seine Geliebte als seine Gattin, hat Heloise ihrem ratlosen Bräutigam gestanden, doch der setzt sich endlich doch mit seinem Heiratswunsch durch. Beide kehren nach Paris zurück. Zuvor verzichtet Abaelard auf das Recht des Erstgeborenen und überträgt seinen drei jüngeren Brüdern Randulf, Dagobert und Porcarius das väterliche Lehen in Le Pallet. Heloise vertraut ihr Kind Abaelard Schwester Dionysia an. Ahnten die Beiden, was sie nun erwartete?
Die folgende stille Verheiratung - vermutlich in der Kirche Saint-Aignan, die Kanzler Stephan von Garland gehört - wird von Fulbert ausgeplaudert. Doch das Liebespaar leugnet die Eheschließung standhaft ab. Abaelard versteckt seine Braut auch noch im Kloster Argenteuil. Es kommt zum Zerwürfnis Fulberts mit Heloïsa, die sowieso die Ehe entschieden abgelehnt hat, eventuell auch zu ihrer Misshandlung.
Fulbert sinnt auf Rache. Eines Nachts wird Abaelard in seinem Haus überfallen und bei vollem Bewusstsein entmannt. Abaelard übersteht die Verstümmelung ohne körperliche Komplikationen, jedoch mit innerer Demütigung. Hinter diesem Attentat steckte Fulbert, dem man nur begrenzt eine Mittäterschaft nachweisen konnte. Die Täter - es waren ein Diener Abaelards und Verwandte Fulberts - werden nicht alle gefasst, diese aber mit Entmannung und Blendung bestraft. Fulberts Güter werden vom Kapitelgericht konfisziert, er selbst entgegen früherer Ansicht jedoch nicht aus dem Domkapitel entfernt.
Was geschieht jetzt mit den Beiden? Im nächsten Tagblatt folgt die 3. und letzte Ausgabe. Nur soviel: selbst als Tote finden sie noch nicht Frieden.
Diese Woche fasse ich mich mangels Zeit weit kürzer als gewöhnlich, leider. Oder doch zum Glück? Man weiß es nicht.
Mitunter ist die Resonanz derart gering, daß man sich versucht fühlt, den Stift bzw. die Finger ruhen zu lassen. Da das Ego aber keinerlei Zweifel zuläßt und verhalten auftretende Gedanken des Zweifels mit einer Flasche Wein bedroht, gibts nur eines: weitermachen, als wenn nix wäre.
So wandeln wir auch heute wieder auf den Pfaden überdimensionaler Extremitäten. Wer nun allerdings auf besonders wohl proportionierte Damen und Herren hofft, wird, sofern nicht hoffnungsloser Opportunist, ein Stück weit enttäuscht sein. Dabei sind die Panoti sehr wohl wohl proportioniert, nur halt nicht an den wahrscheinlich erhofften Stellen.
Dieses sagenhafte Volk von Ohrenmenschen beflügelt seit der Antike die Phantasie der Menschen. Die Panoti, auch Panochen genannt, nach dem griechischen Wort für "Allohren", bevölkern hauptsächlich ersonnene, mal auch ersponnene Reiseberichte. Sie treten besonders häufig bei Nacherzählungen und sogenannten mündlichen Überlieferungen in Erscheinung.
Seemansgarn macht schließlich nicht an der Pforte der Hafentaverne halt. Wo dieser dann auf Volksglauben trifft, da erschafft sich rasch, einhergehend mit zartem Geläut, eine Meerjungfrau mit riesigen Ohren. Ich spreche in der Tat von Ohren und nicht von den, teils ebenso betitelten, blühenden Hügellandschaften liebreizender junger Damen.
Bereits des öfteren genannte griechische Geschichtsschreiber wie Skylax, Megasthenes und Ktesias berichten in ihren Erzählungen und Mythensammlungen zwischen dem späten 6. bis hin zum 3. Jahrhundert v. Chr. unter anderem von den Ohrenmenschen. Mal lebten die Panoti auf einer Insel im nördlichen Ozean, mal in Skytien, mal teilten sie sich ihren
Lebensraum mit riesigen, nach Gold schürfenden Ameisen in Indien.
Mal sind die Ohren der Panoti schaufelgroß, mal reichen sie um den Rücken herum bis zum Ellenbogen, mal schlafen sie auch auf ihren Ohren.
1493 fanden die Panoti selbstredend auch Eingang in die Schedelsche Weltchronik. Im Laufe der Jahrhunderte und mit wachsender Verbreitung der Geschichten wuchsen auch die Ohren der Panoti immer weiter.
Der schwäbische Pfarrer, Gymnasialprofessor und Schriftsteller Gustav Schwab läßt "Herzog Ernst" gegen die Panochen kämpfen. Diese haben dabei bis zum Boden reichende Ohren und werden letzten Endes vom Herzog besiegt.
In der heutigen Zeit tauchen die Panoti eigentlich nicht mehr auf. Gelegentlich gibt es ähnliche Geschöpfe, was darauf schließen läßt, daß jemand mal etwas von den Panoti hörte, aber deren Konzept nicht ganz verstand. Warum auch, lieber verschweigen und so tun, als ob die Idee von großohrigen Menschen von einem selbst stammt.
USK: 0 von 5
Zweimal hintereinander eine 0 auf der USK-Skala. Das ist, wenn ich mich recht entsinne, eine Premiere in der bereits recht passablen Reihe der Fabelwesen. Langweilig einerseits, doch Mut zu Neuem, andererseits.
Was sollen sie auch anrichten, die Panoti? Es existieren keinerlei fundierte Berichte von Übergriffen seitens der Ohrenmenschen. Wie auch? Wir kennen schließlich seit Dumbo die Gefühlslage großohriger Geschöpfe. Man wird gehänselt, vergießt viele Tränen und später, wenn eigentlich nur noch verzagen übrig bleibt, kann man fliegen.
Wie die Erziehung bei den Panoti vonstatten ging, darüber ist leider ebenfalls nichts bekannt. Wahrscheinlich eher antiautoritär, zumindest aber ohne ein bei Eltern sehr beliebtes Druckmittel: "Wenn du nicht brav bist und nicht sofort aufräumst, zieh ich dir die Ohren lang!"
Wer seine Ohren im Winter ohnehin schon als Mütze um den Kopf schlingen kann, damit den praktischen Nutzen langer Ohren bereits erkannt hat, wird sich davor kaum fürchten.
Aber wer weiß, vielleicht galten unter den Panoti zu lange Ohren als Zeichen mangelnder Intelligenz oder Impotenz oder dergleichen. Andersrum gedacht, möglicherweise waren diejenigen mit den größten Ohren besonders begehrenswert und somit Ungehorsam höchst erstrebenswert.
Am besten an einem Markttag in den Brunnen am Marktplatz urinieren und von einer ganzen Hundertschaft von Polizisten bzw. Soldaten damals, die Ohren lang gezogen bekommen. Etwas in der Art, ihr könnt euch gerne Gedanken machen und mir eure Ideen schicken, wenn ihr wollt.