Mit dem ersten Hahnenschrei wurde Cherubias unsanft geweckt. Er packte sein Bündel und nahm sein Frühstück mit auf den Weg. Obschon der Morgen noch graute, stapfte Cherubias durch die Stadt und lief gen Norden. Der Morgentau auf den Gräsern glitzerte und die ersten frühen Vögel flatterten durch die Luft. Da er gut ausgeruht war, ging er festen Schrittes bis zum Mittag, seine erste Rast machte er unter dem Laubdach einer riesigen Eiche. Nachdem er sich ein Stück Brot gegönnt hatte, machte er sich auf den weiteren Weg. Meist marschierte er auf Wegen, manchmal nahm er eine Abkürzung über einen Feldweg. Als ihm ein Reh zu nahe kam, erlegte er es kurzerhand mit seinem Schwert, entzündete ein Feuer und sorgte so für weitere Wegzehrung. Bodental erreichte er nach vier Tagen, in der Dämmerung.
"Wie passend der Name doch ist," schmunzelte er, während er in das Tal marschierte, an dessen Boden der Ort lag. Die Mitte des Ortes war ein See, um den alle Häuser gebaut waren. Da sich der Tag bereits dem Ende zuneigte, kehrte er in ein Gasthaus ein. Seine Suche wollte er erst am Morgen fortsetzen.
Cherubias erwachte früh und ausgeruht, trank zum Frühstück frische Ziegenmilch und ging, vom Wirt gewiesen, zum Bürgermeister. Wie in vielen Orten, war der Bürgermeister auch zugleich der Konstabler. "Bodental ist ein ruhiger Ort. Gesindel gibt es hier nicht viel," erklärte der Bürgermeister, während er in seinen Niederschriften suchte. "Werstan war der Name? Ja, den kenne ich. Ein ehrlicher Kerl. Lebt mit seiner Frau auf der anderen Seite des Sees." Er zog eine Notiz heraus. "Ein Jahrmarkt. Gaukler. Ja, da war etwas." Er dachte nach. "Sie kamen von Battenbrunn und blieben nur wenige Tage. Es gab einige Diebstähle zu der Zeit, aber wir fanden nichts bei ihnen. Schließlich zogen sie weiter nach Norden."
Cherubias bedankte sich und machte sich auf den Weg zu Werstan, dem Händler. Werstan war nicht mehr jung, er mochte vielleicht fünfzig Lenze zählen. Doch aus seinen Augen blickte ein Geist, der viel wacher war, als es seinem Alter entsprach. Werstan begrüßte ihn freundlich, als Cherubias sein Kontor betrat. Werstan hatte sich als Händler auf Stoffe verlegt. Er war einer jener Männer, die gut in der Menge verschwinden konnten, keine Besonderheit machte ihn auffällig. Er war ruhig und keine seiner Bewegungen wirkte hektisch. An ihm fielen nur die freundlichen Knopfaugen auf. Seine Frau war Schneiderin. Im Gegensatz zu ihrem Mann war sie klein und eher pummelig. Ihre Augen blitzen vor Freude, und auch sonst schien sie immer voller Energie durch das Geschäft zu rennen. So nutzte Cherubias die Gelegenheit, sich in dem Kontor umzusehen. Seine Stiefel gingen an einigen Stellen auseinander. Als er ein passendes Paar Wanderstiefel aus Leder entdeckt hatte, wandte er sich an Werstan.
"Ihr seid Werstan?" Der Angesprochene nickte. Cherubias stellte sich vor und nannte sein Anliegen. Als er den Überfall ansprach, wurde das Gesicht des Händlers feindselig und er fragte bellend, warum diese Fragen gestellt wurden. Cherubias taktierte. "Nun, wenn Ihr eine Begegnung mit der Bande des Clavius hattet, so haben wir ein gemeinsames Interesse. Clavius hat meinen Bruder auf dem Gewissen." Der Händler entspannte sich. "Den Namen Clavius habe ich das erste Mal bei jenem Überfall gehört, aber nicht das letzte Mal. Bei meinen Reisen kam ich einmal nach Scolas, einer Stadt weit im Süden. Dort war der Name Clavius auch bekannt. Seine Bande muss dort sehr gewütet haben. Ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube, das war lange vor meiner Begegnung mit ihm.“
Cherubias versprach, sich bei Werstan zu melden, wenn er mehr wusste. Dann bezahlte er die Stiefel, die er sich ausgesucht hatte. Seine alten Schuhe gab er dem Händler gleich, damit er sie verbrennen konnte. Das Gespräch mit Werstan war nicht so verlaufen, wie er sich erhofft hatte, denn er konnte sich an fast nichts erinnern. Auch das Clavius später nach Bodental eingefallen war, war Cherubias ja schon bekannt gewesen. Dennoch hatte er eine Idee, wie Werstan ihm helfen konnte. Werstan hatte beiläufig erwähnt, dass er bald nach Battenbrunn reisen wollte. So gab Cherubias ihm eine Nachricht für den Schließmeister mit.
Cherubias ruhte sich den Rest des Tages aus und verlies Bodental am nächsten Morgen nach Norden. Mehrere kleine Dörfer kamen, doch hier war der Name Clavius nicht bekannt. Erst in Sendras Höhe, einem Dorf, das er nach sechs Tagen erreichte, auf einem kleinen Hügel vor dem Altargebirge gelegen, konnte man sich an die Gauklertruppe erinnern. Sendras Höhe lag an einer Weggabelung. Daher gab es in diesem Ort auch zwei gut besuchte Gasthäuser, zwei Hufschmiede und eine Wagnerwerkstatt. Reges Treiben auf den Straßen zeigte die Wichtigkeit der kleinen Stadt an.
Und so erfuhr er, dass sich die Truppe wohl mehrere Wochen in und um die Stadt herum aufgehalten hatte. Ihr Ziel waren dabei hauptsächlich die Reisenden gewesen, denn zu jener Zeit häuften sich die Überfälle um die Stadt herum. Auch trieb die Truppe recht guten Handel. Woher die Waren kamen, konnte Cherubias sich denken. Cherubias blieb zwei Tage in Sendras Höhe. Er fand heraus, dass die Truppe in Richtung Westen weitergezogen war. Er warf einen Blick auf seine Karten und schrieb einen Brief an Werstan. Dann fragte er sich auf dem Markt durch, bis er einen Händler fand, der den Brief für ihn nach Bodental mitnehmen wollte. Mit einer Handelskarawane verlies er Sendras Höhe nach Westen.
Der 1. Platz des Winter-Literatur-Wettstreits 2008
Leise vor sich hin fluchend keuchte Hannes den steilen, selten begangenen Bergweg hinauf. Im spärlichen Licht, das der Mond verbreitete, war dieser kaum zu erkennen. Immer wieder sank Hannes ein im Schnee. Die Nässe drang langsam durch das alte Leder seiner Schuhe, seine Zehen spürte er schon lange nicht mehr und die Last auf seinem Rücken schien ihm mit jedem Schritt schwerer zu werden.
Ach, das Leben war hart. Das, was der kleine Hof einbrachte, reichte kaum zum Leben. Die Arbeit auf den kargen, abschüssigen Feldern war mühsam und setzte Knien und Rücken arg zu.
So war Hannes darauf verfallen, von Zeit zu Zeit Tabakwaren und ein Fass voller Schnaps über den Pass zu bringen, heimlich natürlich, in klaren Nächten so wie dieser. Jenseits der Grenze zahlten sie gutes Geld dafür. Diesmal wollte er beim Schuhmacher ein Paar grössere Schuhe für die wachsenden Füsse seines Ältesten anfertigen lassen, was dringend notwendig war.
Hannes war müde vom Aufstieg, fror und war spät dran, fast zu spät schon, um noch im Schutze der Dunkelheit die Grenze passieren zu können. Endlich erreichte er die Passhöhe, bergab würde er etwas schneller vorwärts kommen. Hier aber empfing ihn ein eisiger Wind, der den Schnee hart gefrieren liess. Hannes rutschte aus, fiel auf den Rücken, das Fass unter ihm barst. Schimpfend rappelte er sich wieder auf, trat mit dem Fuss zufällig auf ein Brett, das sich aus dem Fass gelöst hatte und geriet schon wieder ins Rutschen. Mühsam konnte er das Gleichgewicht halten. Plötzlich spürte er, wie das rutschende Brett ihn trug, wie er auf einmal sehr rasch ein rechtes Stück bergab geglitten war, bis er wieder hinfiel. „Das ist aber praktisch“, dachte er, „das probiere ich noch einmal“. Flugs stand er wieder auf dem Brett, schob mit dem anderen Fuss an und wieder glitt er fast mühelos ein weiteres Stück den Hang hinab. Die Sache fing an, ihm Spass machen. Wieder und wieder rutschte er eine weitere Etappe seinem Ziel entgegen, das er viel rascher als sonst erreichte.
Von da an nahm er bergab immer ein Brett unter den Fuss und, als er ein wenig Übung gewonnen hatte im Halten des Gleichgewichtes, bald auch unter beide. Damit er nicht immer wieder abrutschte, band er die Bretter mit einem Lederriemen an den Schuhen fest. Zum besseren Abstützen und Lenken der Fahrtrichtung nahm er noch zwei zusätzliche Stöcke in die Hände. Er begann, die Bretter zu polieren und zu wachsen, damit sie noch schneller glitten, spitzte sie vorne zu, damit sie sich nicht an Hindernissen verfingen. Mit der Zeit zeigte er seine Erfindung auch seinen Freunden. Die wollten alle auch so praktische Bretter haben, eine Bestellung löste die nächste ab. Und bald verdiente Hannes mit der Herstellung seiner Bretter so viel, dass seine Ausflüge auf die andere Seite des Passes immer seltener notwendig waren und schliesslich ganz aufhörten.
Petrus Venerabilis - Friedensstifter im Zeitalter der Kreuzzüge?
"1095 rief Papst Urban II. zum "Heiligen Krieg" gegen die Ungläubigen, die das Heilige Land für die frommen Pilger unpassierbar machten. Urbans stark dramatisierende Rede von den Leiden der Christenheit im Osten, der Misshandlung durch die Andersgläubigen und der Notwendigkeit der Befreiung der heiligen Stadt Jerusalem wurde den Chronisten zufolge, die abweichende Fassungen vom Wortlaut der Rede überlieferten, begeistert aufgenommen. Angeblich wurde hier bereits das spätere Motto der Kreuzzüge – "Gott will es!" – geprägt. Merkwürdig, wie sich heute die Worte wiederholen, nur hört man sie jetzt von extremen islamischen Geistlichen.
Dieser Papst war einst Mönch im Benediktinerkloster Cluny in Burgund im heutigen Frankreich. Ausgerechnet von dort kommt eine Generation später eine massive Gegenstimme gegen die Kreuzzüge in Gestalt von Petrus Venerabilis. Cluny war eine eigene Welt. Diesem klösterlichen Reich gehörten ungefähr 10.000 Mönche in mehr als 600 Klöstern an. Clunys Mönche wurden zu Päpsten und Kardinälen gewählt oder standen als Berater im Dienst von Kaisern und Königen. An der Schwelle zum 12. Jahrhundert war Cluny ein Ort von bedeutender Wichtigkeit im westlichen Europa. Petrus war Großabt in Cluny, d. h. er hatte mehr Befugnisse als ein gewöhnlicher Abt, und er war keinem Bischof, sondern einzig und allein dem Papst direkt unterstellt - eine Folge des früheren Einflusses Papst Urbans II., der seiner Ursprungsabtei Privilegien übertrug, die Petrus Venerabilis und seinem Wirken enormen Freiraum brachten. Sein Amt verlieh ihm Immunität gegen äußere Angriffe. So konnte sich Petrus auch Dingen widmen, die von der überwiegenden Mehrheit der europäischen Gelehrten mit Desinteresse oder sogar Argwohn betrachtet wurden. Er war unabhängig von jeder weltlichen Macht. Er war allein dem Papst verantwortlich, keinem Bischof, König oder Kaiser. Daher nahm er es sich heraus, den Papst in brüderlicher Weise in Form von Briefen zu kritisieren.
Sein Geburtsname lautet Pierre Maurice de Montboissier. Auf Latein nannte man den Geistlichen Petrus Venerabilis. Auf Deutsch bedeutet sein Name "Peter der Ehrwürdige". Er wurde um 1094 in Montboissier geboren und starb am 25. Dezember 1156 in Cluny.
Er unterstützte Papst Innozenz II., bevor er 1130 zum Papst ernannt wurde, und gewährte dem der Häresie angeklagten Philosophen und Dichter Petrus Abaelardus Zuflucht. Abaelard vertrat viele Jahrhunderte vor der Aufklärung den Primat der Vernunft nicht nur in der Philosophie, sondern auch in Glaubensfragen. Durch diese und andere kontroverse Lehren, aber auch wegen der Liebesaffäre mit seiner Schülerin Heloise, geriet er in zahlreiche Konflikte. Neben dem umfangreichen Briefwechsel sind seine theologischen Dispute unter anderem mit Bernhard von Clairvaux bis heute interessant. Venerabilis erreichte eine Aussöhnung zwischen Abaelard und Bernhard von Clairvaux.Trotzdem konnte er es nicht verhindert, dass Abaelard von Häschern des Onkels Fulbert seiner Geliebten Heloise geblendet und entmannt (kastriert) wurde. Doch sorgte er dafür, dass der unglückliche Abaelard nach seinem Tode neben seiner Heloise in geweihtem Boden bestattet wurde. Nach mehrmaligen Umbettungen während der französischen Revolution wurden die sterblichen Überreste des Paares nach Paris verbracht, wo sie seit 1817 auf dem Friedhof Père Lachaise ruhen.
Petrus Venerabilis veranlaßte die Übersetzung des Korans ins Lateinische. Das geschah in Toledo durch die Übersetzer Robert von Ketton, den getauften jüdischen Gelehrte Petrus Alfonsi und den Mönch Hermann von Carinthia. Auch ein Maure namens Mohammed soll daran beteiligt gewesen sein. Die Arbeit wurde 1143 abgeschlossen und später von Pierre von Poitiers stilistisch überarbeitet. Petrus sah in der Übersetzung des Korans einen Baustein seines "Projekts zur Widerlegung des Islam". Es war ihm ein dringendes Anliegen, der Ausbreitung des Islam Einhalt zu gebieten. Diese Übersetzung galt 500 Jahre lang bis zum Zeitalter der Aufklärung als Standardwerk.
Aufgrund eines Aufenthaltes in Spanien durch eine Einladung von König Alfons VII. begegnete er persönlich Muslimen. Im Gegensatz zu den Mächtigen seiner Zeit lehnte er den Zweiten Kreuzzug und das brutale Vorgehen der Ritter gegenüber Andersgläubigen ab. So schrieb er im "Liber contra sectam sive haeresim Saracenorum" den Muslims: "Ich greife euch nicht, wie die Unsrigen es so oft tun, mit Gewalt an, sondern mit Vernunft, nicht mit Hass, sondern mit Liebe." In einem Grußwort bezeichnet er die Araber "als Söhne Ismaels, die ihr das Gesetz eines gewissen Mohammad befolgt" und drückt damit seine Hochachtung ihnen gegenüber aus.
Gegenüber dem französischen König Louis VII. sprach er sich gegen den Zweiten Kreuzzug aus, indem er ein Bibelzitat aus Matthäus 26, 52 nannte: "Stecke Dein Schwert ein. Denn wer das Schwert zieht, wird durch das Schwert umkommen." In einem Brief an den König schrieb er dazu: "Gott will weder kaltblütigen Mord noch ein Abschlachten." Er war jedoch gegen die Kopfsteuer, die gegenüber Christen von muslimischen Herrschern in ihrem Bereich erhoben wurde, und für den freien Zugang der Pilger nach Jerusalem. Venerabilis forderte Worte statt Waffen.
Wo Licht ist, ist auch Schatten. So respektvoll er mit den Sarazenen umgegangen ist, um so schwieriger ist seine Haltung gegenüber den Juden aus heutiger Sicht zu beurteilen. Er betrachtete sie als Menschen, die wenig mehr als Tiere zu sein scheinen. Sie seien die wahren Feinde der Christen und die Mörder Christi. Als 1146 eine Sondersteuer zur Finanzierung des Zweiten Kreuzzuges eingeführt werden sollte, sprach er in seiner Schrift "Adversus Judaeorum": "Es geht nicht an, gegen die Sarazenen zu ziehen, so lange die Juden, die eigentlichen Feinde Christi, in unserer Mitte verschont bleiben." Damit war er ein Kind seiner Zeit und trug zur Argumentation der spätere Judenverfolgung im Mittelalter bei.
Leider scheint der Mensch immer ein Feindbild haben zu müssen, wenn er eines verläßt. Die Zeiten scheinen sich zu wiederholen. Auch heute sehen wir Parallelen: Da redet doch wieder ein Ex-Politiker und Wirtschaftsexperte von genetisch bedingter Dummheit eines Teils der Bevölkerung, sprich von "Kopftuchmädchen" ect. und schreibt darüber ein Buch. Deshalb tut es gut, sich mit Geschichte zu befassen und zu sehen, das es nichts Neues unter der Sonne gibt. Das Herz des Menschen hat sich auch nach 1000 Jahren nicht verändert.