Ausgabe 178 | Seite 4 21. November 2010 AD
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Fabelwesen Teil 23

das Nachtvolk

Wer darauf tippte, daß diese Woche ein Richtungswechsel vollzogen wird, lag vollkommen richtig. Allerdings nicht so, wie vielleicht erwartet. Wir bleiben den berittenen Wesen treu, ändern dabei lediglich die Richtung. Und zwar richtig! Nicht daß hier noch jemand behauptet, man wäre berechenbar. Wär ja noch schöner...

Daher tragen uns die Hupfe der Pferde weder nach Süden, noch nach Norden. Auch nicht nach Westen oder nach Osten. Zwar vom Kaukasus aus gesehen schon nach Westen, jajaja, aber eben erstaunlicherweise auch nach oben, wer hätts gedacht, nicht wahr?
Nun eignet sich dieser Besuch auch bestens, um uns bereits auf die nicht mehr fernen zwölf Weihnachtstage bzw die Rauhnächte einzustimmen. Schließlich sollt ihr ja gewappnet sein für die bereits nahen, kommenden Ereignisse.
Damit wisst ihr dann Bescheid und haltet das Nachtvolk bei Sichtung nicht für eine heruntergekommene, rumpelnde, rappelnde und prähistorische fliegende Untertasse, die zu lange unter einem fossilen Mammut-Hintern begraben lag. Womit dann auch keine peinlichen, hauptsächlich rektalen Untersuchungen auf kalten, metallenen Tischen zu befürchten wären, was doch zweifelsohne eine gute Aussicht darstellt.

Man wundert sich ja schon immer wieder, um welch eigenartige Spezies es sich handelt, wenn man die Erzählungen angeblich von Außerirdischen Entführter liest. Denn wer unternimmt eine möglicherweise mehrere Lichtjahre dauernde Reise, um dann jemandem aus dem Osten Deutschlands ins Rektum zu schielen?
Was mag einem solchen Wesen dabei durch den Kopf gehen? Vorausgesetzt, es hat überhaupt einen, durch den etwas gehen kann. Man weiß es nicht...
Jedenfalls gäb es ja weit besseres zu tun, behaupte ich mal ganz dreist. Meinereiner würde als Weltraumreisender/ -pirat die ganzen kleinen, niedlichen Haustierchen erstmal mopsen. Sie dann kurz durch die Zeit warpen, auf dem Heimatplaneten trainieren und als ausgewachsene, große, angrifflustige und sächselnde Monster den verblüfften Herrchen und Frauchen vor die Haustür setzen. Irgendwas amüsantes eben.
Nach langer Reise freut man sich doch beispielsweise über Kuchen, frischen wohlgemerkt.
Aber das sind wohl die Dinge, die Unterschiede, die die Außerirdischen so außerirdisch machen. Lassen wir uns überraschen was da kommen mag, wenn die weihnachtlichen Feierlichkeiten und Schlemmereien durch sind!

Bis dahin wenden wir uns vernünftigerweise wieder dem Nachvolk, der wilden Jagd, dem wilden oder wütenden Heer/Schar, wie dieser Volksmythos auch genannt wird, zu. Diese Erscheinungen am nächtlichen Himmel werden gemeinhin als Jagdgesellschaft übernatürlicher Wesen interpretiert, die vor allem während der zwölf Weihnachtstage oder der Rauhnächte beobachtet wurden/werden.

Die Zwölften sind jene Brauchtums- und Sagensschwangeren Tage vom Christtag, 25.Dezember, bis zum Morgen des 6.Januars. Die Rauhnächte oder Glöckelnächte bezeichnen oftmals den gleichen Zeitraum, können aber regional auch variieren.
Deren wichtigste wären:
- 21./22.Dezember (Thomasnacht/Wintersonnenwende/längste Nacht des Jahres)
- 24./25.Dezember (Heilig Abend/Christnacht)
- 31.Dezember/1.Januar (Silvesternacht)
- 5./6.Januar (Epiphaniasnacht, das historische Weihnachtsdatum)

Die damit einhergehenden Vorstellungen und Bräuche gehen teils bis ins germanische Heidentum zurück, dh sie umfassen teils pagane Kulte und Riten ausgehend von der jüngeren Bronzezeit bis zur Christianisierung während des ausgehenden Frühmittelalters.
Dieses Phänomen, welches regional deutlich unterschiedliche Ausprägungen aufweist, wird in Skandinavien "Odensjakt", "Oskorei" oder "Asgardsei" genannt und ist eng mit der dortigen Julzeit verknüpft.
In England nennt man die Erscheinungen "the wild Hunt", in Frankreich "Mesnie Hellequin" oder "chasse aérienne", "chasse-galerie" im französischsprachigen Teil Kanadas. Im schweizerischen Kanton Wallis kennt man es als "Gratzug".
Die Germanen nannten es auch "Aaskereia" (der asgardische Zug oder die Fahrt nach Asgard).

Wütendes Heer der kleinen Diebe, Titelblatt eines Basler Drucks 1569 Das wilde Heer zog ursprünglich vorrangig in den Rauhnächten umher, die christlichen Daten überlagerten die heidnischen aber mehr und mehr. So zieht der Geisterzug nunmehr nicht nur zwischen Weihnachten und dem Dreikönigstag durch die Lüfte, nein, auch während der Fastnachtszeit, der Fronfasten und selbst am Karfreitag erscheinen sie.
Die Fron-oder Quatemberfasten treten, seit Gregor VII., viermal im Jahre ein. Immer am Mittwoch, Freitag und Samstag der ersten Fastenwoche, der Pfingstwoche, der dritten Woche des September und der dritten Adventswoche. Sie verlangen Enthaltung von Fleischspeisen, es darf kein Obst abgenommen und nicht gesät werden usw.
"Aschen (Aschermittwoch), Pfingsten, Kreuz (Kreuzerhöhung, 14.September), Luzei (Luzia, 13.Dezember), d´Woch´ darauf Fronfasten sei", hieß es früher.

Der Geisterzug zieht mit einem fürchterlichen Gerassel, unter Schreien, Johlen, Heulen, Jammern, Ächzen und Stöhnen durch die Lüfte. Manchmal ertönt aber auch liebliche Musik, was dann meist als ein gutes Vorzeichen verstanden wird, ansonsten kündigt er Unzeiten an.
Der Zug besteht aus den Seelen von Männern, Frauen und Kindern, die zumeist vor ihrer Zeit verstarben, sei es gewaltsam oder durch unglückliche Umstände. Legenden künden davon, das jene, die den Zug betrachten, von ihm mitgezogen werden und ihm über Jahre hinweg folgen müssen. Tiere, vornehmlich Pferde und Hunde ziehen ebenfalls mit.

Doch im allgemeinen gilt das wilde Heer dem Menschen nicht als feindlich gesinnt. Es wird jedoch geraten, sich niederzuwerfen oder bereits vom Christentum durchdrängt, sich im Hause einzuschließen und zu beten. Wer das Heer provoziert oder es verspottet, wird unweigerlich Schaden davontragen. Auch wer absichtlich aus dem Fenster sieht, um es zu betrachten, dem schwelle der Kopf derart, auf daß er ihn nicht mehr zurückziehen kann. In kanadischen Legenden verschmolz der Zug mit indianischen Motiven, dort zieht er angeblich in einem Kanu über den Himmel.

Mitunter führt ein sogenannter Vorreiter oder Warner den Geisterzug an, der mit Rufen wie "HoHoHo! Aus dem Weg, ab dem Weg, damit ein niemand von euch geschändet wird!", vor der Schar warnt. Er trägt Apellativa, wie Helljäger, Tolljäger oder Schimmelreiter, manchmal sogar einen Namen. In Schwaben zB, wird der von weißen Hunden begleitete, auf einem weißen Roß sitzende und weiß gekleidete Vorreiter Berchtold genannt.



In Schweden wird Oden, Odin, als Anführer des Zuges genannt. Er soll eine mythische Waldfrau (schw. Skogsra, norw. Huldra) jagen. In Mitteldeutschland entspricht sie Frau Holle, im Asatru, dem neugermanischen Heidentum, als Göttin verehrt, oder der Perchta in Süddeutschland und Österreich. Teils nehmen diese Frauen an der Jagd teil, in anderen Varianten werden sie gejagt.
Gemäß der norddeutschen Sage führt Hanns von Hackelberg, ein Braunschweiger Oberjägermeister im Dienst des Herzogs Julius von Braunschweig, die wilde Jagd an und so den Fluss Oker, Nebenfluss der Aller, hinauf und hinunter.
Die saarländische Sage beschreibt den wilden Jäger Maltitz als Anführer der wilden Jagd, als Strafe für seinen Frevel, am Karfreitag zur Jagd geritten zu sein. In der Prignitz jagt während der "Twölven" Frau Gauden mit ihren 24 hundsgestaltigen Töchtern auf einem Wagen durch die Lüfte. Zuweilen wird auch Dietrich von Bern als Anführer der wilden Heerschar genannt und manchmal tritt ein wilder Jäger auch ganz alleine auf.

Einer der ältesten Berichte stammt von einem normannischen Priester namens Gauchelin aus dem Jahr 1091. Er wurde, als er zu später Stunde allein an einer normannischen Küste unterwegs war, von einer Dämonenschar verfolgt. Diese wurde von einem wild aussehenden, vermummten und mit einer Keule bewaffneten Riesen angeführt. Diesem Riesen folgten Krieger, Priester, Frauen und Zwerge, unter ihnen auch bereits gestorbene Bekannte.
Diese Legende verbreitete sich als die wilde Jagd der "familia herlequin", welche des Nachts einsame Menschen erschrecke. Über viele Umwege und Deutungen wurde aus dem mittelenglischen "herle king" dann der Harlekin der Commedia dell´arte der Renaissance und wie wir ihn heute kennen.

Älteste, sichere Zeugnisse der wilden Schar in deutschen Landen stammen aus dem 13.Jahrhundert. Im Roman Reinfried von Braunschweig, um 1300, ist von einer Reiterschar die Rede, die wie "daz Wuotez her" rauschet. Noch deutlicher wird der Münchner Nachtsegen aus dem 14. Jahrhundert. Dort sind zahlreiche Geister und Gespenster aufgelistet, darunter auch "Wutanes her und alle sine man".
Ab dem 15.Jahrhundert häufen sich die Berichte und der Luzerner Stadtschreiber Renward Cysat gibt einen längeren Bericht über die damaligen Vorstellungen vom Guotisheer oder Wuotinshör. Im Jahr 1519 wurde eine Frau aus dem Emmental, im Schweizer Kanton Bern, vertrieben, weil sie aussagte, mit "frow Selden" und dem "Wütisher" einherzufahren.
Die zimmerische Chronik aus der Mitte des 16.Jahrhunderts, vom schwäbischen Herren von Zimmern berichtet sehr detailliert von mehreren Erscheinungen des "Wuteshere".

Das Phänomen des Nachtvolkes wird nicht einheitlich gedeutet. Namen wie Wüetisheer oder Odensjakt weisen deutlich auf den germanischen Gott Wodan/Odin hin, ebenso wie viele Gebräuche und Einzelheiten auf ihn zurückgeführt werden können.
Die ältere, naturmythische Deutung sah die wilde Schar aber vielmehr als Produkt von Ängsten. Die Menschen fürchteten nächtliche Winterstürme, die enge Gemeinschaft mit den Toten während der dunklen Mittwinterzeit erschien ihnen unheimlich und vieles mehr nicht minder.
Der niederländische Mediävist Jan de Vries nennt folgende Hintergründe:
Da das Maskentreiben während der Julzeit oft einen dämonenhaften Charakter habe, trage es zur Ausbildung der Sage bei. Zudem erinnert das Wilde Heer an die Einherjer der Walhalla, gefallene Krieger der nordischen Mythologie. Auch das "feralis exercitus", das Totenheer der Harier, einer der fünf Hauptstämme der Lugier zu Zeiten der Römer, mag einen möglichen Hintergrund für das Wilde Heer dargestellt haben.

Das wilde Heer und seine Anführer hatten aber auch Einfluss auf die Ernte. Glaubte der schwedische Landmann, daß er mit schlechter Heuernte bestraft würde, wenn er Odens Pferden keine Grasbüschel opfere, so nahm man im Aargau an, das Jahr werde besonders fruchtbar, wenn das Guenisheer schön singe.
Im oberbayrischen Beilngries wurden an der Waudlsmähe, einem Erntedankfest, dem Waude und seinen Begleitern, dem Waudlgaul und den Waudlhunden Milch, Brot, Bier und Ährenbüschel dargebracht.
Die Wilde Jagd wird heute im Gebiet von Grödig-Untersberg im Salzburger Land nachgespielt. Mit dumpfen Trommelschlägen und Flöten erscheinen verkleidete Menschen am Donnerstag zwischen 2. und 3. Adventsonntag an einem möglichst geheimen Ort und ziehen von Haus zu Haus, wobei sie rufen: „Glück herein, Unglück heraus, es zieht die Wilde Gjoad ums Haus!“. Zu den wichtigsten Figuren gehören Tod, Hexe, Habergeiß, Vorpercht, Moosweib, Rape, Riese Abfalter, Saurüssel, Baumpercht, Bär, Bärentreiber und Hahnengickerl. Angeführt werden sie vom Tod.

Das Nachtvolk ist also heute nicht in Vergessenheit geraten. In der Oper "Der Freischütz" von Carl Maria von Weber erscheint im zweiten Akt in der Wolfsschluchtszene bei der Segnung der Freikugeln "Das wilde Heer". Natürlich kommen PC-Fantasyspiele ohne die geisterhafte Schar auch nicht aus, so tauchen sie beispielsweise bei "Morrowind" oder bei "The Witcher" auf.

USK: 3 von 5
Nun, eigentlich zieht die wilde Schar nicht aus, um jemandem ein Haar zu krümmen. Gut, zugegebenermaßen vielleicht ein paar Nerven, aber seien wir ehrlich, so ein ordentlicher Schreck beizeiten, das erhöht die Disziplin der Erschrockenen merklich. Dennoch, die Schar vermag es, eine der größten Schwächen des Menschen auszunutzen, seine Neugier. Daher rührt die 3 auf der Schreckensskala!
Sobald irgendwo etwas passiert, es muß hingerannt und geschaut werden. Sobald man irgendwo ein verdächtiges Geräusch vernimmt, muß dem auf den Grund gegangen werden. Obwohl alle Sinne im Körper längst ihre Posten verlassen haben und weggerannt sind.
Wenn dann, beinahe unweigerlich, etwas geschieht, schiebt man die Schuld natürlich wieder den ach so bösen, bösen Monstern, Ungeheuern etc in die Schuhe. Wo leben wir denn, wenn man nicht mal mehr seltsame Geräusche von sich geben kann, ohne das sich direkt eine Heerschar neugieriger Augen einfindet?
Somit ist es denke ich nur gerecht und fair, wenn man behauptet, daß, wer trotz Warnung den Kopf zum Blick erhebt oder aus dem Fenster streckt, es für diese Art zivilen Ungehorsams nicht anders verdient hat und zurecht eingezogen wird.

Für manch anderen ist´s vielleicht ne recht passable Möglichkeit, dem Alltag spontan zu entfliehen und wenigstens etwas herumzukommen. Am besten vorher noch halbwegs passabel ein möglichst lautes Instrument erlernt, zumindest soweit, daß man weiß wo man pusten oder drauf schlagen muß und wo der Radau rauskommt.
Dann kann man´s den nervigen Nachbarn mit ihren noch nervigeren Plagen so richtig heimzahlen.
So ein wenig verdammt sein, ist bestimmt auch nicht so arg, wie es einem immer Glauben gemacht wird. Schließlich besteht hierbei ja durchaus die Möglichkeit, befreit zu werde. Wie, darüber schweigen die Quellen allerdings...
Jedenfalls, bekommt man mit Sicherheit interessante Geschichten von den Ermorderten etc zu hören. Wobei wir zum eigentlichen und einzigen Problem bei der Kiste gelangen. Genau, Gruppenreisen!
Allein das Wort löst bereits einen wenig wohligen Schauer aus. Bis da wieder jeder vor der Abreise pinkeln war... Dann ist ausgerechnet wenn man selbst endlich an der Reihe ist, die Toilette verstopft. Das nur, weil dem Leprakranken der Arm genau im geeignetsten aller Momente, hineinfiel, nämlich just als er die Spülung betätigte.
Die Reiseplatzvergabe setzt einen neben eine alte Oma, die sich natürlich freut, daß sie ihre Lebens- und Leidensgeschichte in aller Ruhe jemandem erzählen kann, der noch beide Ohren hat. Da wird die Ewigkeit rasch greifbar und selbst Senioren haben Zeit...

Das war´s für diese Woche!
So lest diesen Artikel am besten zweimal durch oder besser noch schwelgt in der langen Galerie der bisherigen Fabelwesen, denn nächste Woche setzen sie leider aus!

© Singularis Porcus


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