Ausgabe 177 | Seite 2 14. November 2010 AD
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Fabelwesen Teil 22

die Narten

Wie in der letzten Woche angekündigt, folgen wir weiter den Fährten legendärer und sagenumwobener Reitervölker. Daher besuchen wir diese Woche die Narten.
Dazu verlassen wir die Täler des Dnepr und begeben uns weiter in süd-östliche Gefilde. Oberhalb der Schwarzmeer-Halbinsel Krim, vorüber an den Städten Dnipropetrowsk und Donezk, wenden wir uns an den ersten Ausläufern der kaspischen Senke gen Süden. Schon ragen vor uns die ersten Gipfel des Kaukasus auf, jenes Gebirges, das so malerisch eingebettet ist zwischen Schwarzem und Kaspischem Meer.
Geschätzte 30 Millionen Menschen leben heute in den Weiten dieses Gebirges, dessen höchste Erhebungen rund 5642m erreichen.

Die nördlichen Flanken des Gebirges liegen auf russischem Staatsgebiet, dort befinden sich die autonomen Republiken Nordossetien, Inguschetien, Tschetschenien und Dagestan. An dessen südlichen Ausläufern drängen sich die Nordosttürkei, Georgien, Armenien und Aserbaidschan.
Wie man sieht, ein seit alten Zeiten heißes Fleckchen Erde, das bis heute mit teilweise großen Schwierigkeiten zu kämpfen hat. Langwierige Konflikte, die, oftmals in Vergessenheit geraten, immer wieder mal in den kurzatmigen Fokus unserer Aufmerksamkeit geraten.
Unterschiedlichste Ethnien kaukasischer, altaischer oder indogermanischer Abstammung bemühen sich dort mehr oder weniger um ein Neben- und Miteinander.

Genau dorthin führen uns die Spuren der Narten. So seid denn vorsichtig bei der Wahl eurer Taten und Worte. Was hier noch als Höflichkeitsfloskel verstanden wird, kann im nächsten Tal bereits als Beleidigung gelten. Erklärt erst einmal einem aufgebrachten Tscherkessen, das ihr eigentlich die Pracht seines Ackers loben wolltet, ihr in Wahrheit aber seine Mutter als schmalhüftige und flachbrüstige Tochter eines an Durchfall leidenden Bison-Hybriden bezeichnet. Da kommt Leben in die Jurte...

Nun aber wieder aufs eigentliche Thema konzentriert!
Die Narten gelten als halbgöttliche Helden eines sagenhaftes Volkes. Sie entstammen den Mythen und Epen mehrerer nord-kaukasischer Völker, insbesondere der Osseten, Tscherkessen, Tschetschenen und Abchasen. Den namentlichen Ursprung vermutet die Wissenschaft im mongolischen Wort "narta", Sonne. Somit hätten ausgerechnet die ärgsten Feinde der alanischen Osseten den sagenhaften Geschlechtern der Narten ihren Namen gebeben.

Gesichert und als Urmutter aller Narten wird die weise und verführerische Satanaya angesehen. Sie findet Erwähnung in unzähligen Stellen der Sagen und Mythen des Kaukasus. Sie gilt selbstredend als Fruchtbarkeitsgöttin und höchste Autorität, die gemeinhin als weise Frau und Martiarchin auftaucht. Dies spiegelt sich noch heute in den nordkaukasischen Gesellschaften wieder, wo die Frau traditionell einen verhältnismäßig hohen Einfluß besitzt und entsprechende Macht genießt.
In den Narten-Sagen herrscht ein ausgesprochenes Gleichgewicht zwischen Männern und Frauen. Es finden sich wahrhaft viele Erzählungen, in denen den Göttinnen und Heldinnen allesamt großer Respekt gezollt wird.

Auch wenn dies eigentlich überall auf der Welt in dieser Art selbstverständlich sein sollte, wissen wir alle, daß dem leider nicht so ist. Deshalb verzeiht, wenn ich diesen Punkt vielleicht etwas zu sehr betone. Dem/der Einen wird es dennoch zuwenig oder bereits zuviel sein, aber diese Diskussion oder Entscheidung überlasse ich der werten Leserschaft. Ganz in der Hoffnung, ihr möget dies lebhaft und zur Verwunderung eurer Kinder am sonntäglichen Mittagstisch ausdiskutieren.

Wieder zurück zum Thema.
Gemäß ossetischem Glauben wohnen die Narten in der Umgebund der höchsten Gipfel des Kaukasus, ihnen werden große Tapferkeit, ungezügelter Zorn, List und Verachtung gegenüber allem Verweichlichten zugesprochen. Ähnlich Odins Ross Sleipnir sollen ihre Pferde durch die Lüfte galoppieren.
Die Osseten selbst gelten als Nachfahren der Alanen, eines Reitervolks, das bereits um 40 v. Chr. Erwähnung findet. Die Alanen warer ihrerseits ein Teilstamm des iranisch-stämmigen Reitervolks der Sarmaten. Diese sollen, laut dem antiken griechischen Völkerkundler Herodot von Halikarnassos (490 - 424 v. Chr.), der Vermischung von Skythen, eines der frühesten Reiternomadenvölker, mit Amazonen entstammen.

Die nartischen Gottheiten haben viele Parallelen zur griechischen und auch nordischen Mythologie. Die oben genannte Satanaya weist viele Ähnlichkeiten zur altgriechischen Fruchtbarkeitsgöttin Demeter auf. Nasran gleicht dem feuerbringenden Titanen Prometheus, den Zeus, der Göttervater, bekanntlich ja an einen Berg im Kaukasus schmieden läßt.
Das antike Kolchis, in dem der goldene Widder Chrysomeles den Thronanwärter Phrixos absetzte, ist das heutige Georgien. Dort wurden früher Schafsfelle verwendet, um das Gold aus den Flüssen zu waschen, was heute als Hintergrund für den Mythos vom goldenen Vlies erachtet wird. Eine Verbindung zur nordischen Mythologie stellen die bereits erwähnten Pferde der Narten her, ebenso wie beispielsweise der gewitzte und heimtückische Sosruko starke Ähnlichkeiten zum nordischen Loki aufweist.

Der französische Religionshistoriker Georges Dumézil, 1898 - 1986, ging von einem skythischen Ursprung der Narten-Sagen aus. Er würdigt sie als ein bedeutendes Stück eurasischer Literatur. Ihm zufolge spiegelt ihre Sippengliederung die funktionelle Dreiteilung der Gesellschaft in Priester, Krieger und Bauern wieder, die vielen alten indogermanischen Traditionen zugrunde liegt.

Der russisch-orthodoxe Geistliche André Sikojev übersetzte das Narten-Epos erstmals ins Deutsche. Seit 1948 gibt es neben einer ossetischen eine russische Fassung. Laut Sikojev entstanden die Narten-Sagen einstmals im Siedlungsgebiet der Osseten und wurden bald im gesamten nördlichen Kaukasus erzählt und gesungen. Die Auseinandersetzungen der nartischen Helden vergleicht Sikojev u.a. mit dem Kampf Thors gegen die Midgardschlange.

Im folgenden versuche ich im kurzen, eine der Geschichten, die sich um den weisen Helden Urismag ranken, zu erzählen.

...


Gilden-WBW für alle Welten

Haiku

Was schert es das Schaf,

Dass ich ihm die Wolle nehm',

Solang' neue wächst.



Dieser Gilden-Wettbewerb läuft vom 14.11. ab sofort bis zum 03.12.2010 um 23:59 Uhr.


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Der tagesaktuelle "Stand der Dinge" kann derweil in der Gildenübersicht im Menü Stats/Gilden, sortiert nach "Wettbewerb", betrachtet werden.

Die Gewinne beim
Gildenwettbewerb (GWBW)




1. Platz --> Goldpokal
2. Platz --> Silberpokal
3. Platz --> Bronzepokal

Und nun viel Erfolg, frohes Schaffen und ein gutes Gelingen!

© Hinrik




Fortsetzung Fabelwesen, die Narten

Diese Geschichten, zum Teil ganze epische Zyklen, die von den Narten künden, wurden zu alten Zeiten von den Geguakos, den alten Sängern vorgetragen. Sie bewahrten, gleich den keltischen Druiden, auf diese Weise Legenden und Sitten, Geschichte und Gesetz.
Diese Geguakos wurden zu den großen Festen der Bergbewohner geladen, spielten auf dem zwölfsaitigen, harfenartigen Fandir, sangen oder trugen die nartischen Sagen vor.

Urismag entstammte, wie sein stahlbärtiger Bruder Chamiz, aus der Verbindung seines Vaters Achsartag, dem Begründer eines der Nartengeschlechter, mit einer Meeresnymphe, einer Tochter des Meergottes Donbettir. Viel geschah während seines langen Lebens, doch als der alternde Held Urismag zu sterben versuchte, trug sich folgendes zu:
Mit den Jahren wurde Urismag immer hinfälliger, seine gewaltige Kraft war erschüttert und es zog ihn nicht mehr auf Kriegsmärsche oder zur Jagd. Die nartische Jugend fragte nicht mehr bei ihm um Rat und es gab sogar solche, die ihn zu verspotten begannen.
Eines Tages sprach der alte Held: „Oh, wenn ich doch nur noch ein einziges Mal losziehen könnte, mein Schwert an den feindlichen Adern zu erproben, den Narten helfend den Sieg zu erkämpfen. Doch ehe es mir bestimmt ist, ruhlos mein Leben zu beenden, so wäre es besser, den Tag meines Todes selbst zu bestimmen.“
Er bat, "eine große und feste Truhe" zu schmieden, ihn hineinzulegen und im Meer zu versenken. Nach langem Zögern erfüllte man ihm den Wunsch. Die Narten warfen die Truhe mit Urismag ins Schwarze Meer.

Doch der Meeresgott verschlang die Truhe nicht. Vorsichtig hoben die Wellen sie hoch und trugen sie davon. So gelangte der Alte zum Erzfeind der Narten, dem grausamen Schwarzmeerfürsten Aldar, der ihn in den Turm werfen ließ, wo Urismag verfaulen sollte. Doch mit einer List gelang es dem Alten, sich in das Vertrauen Aldars einzuschleichen. Urismag bot an, zwei Boten zu seinem Volk der Narten zu senden, damit ein gewaltiges Lösegeld in Form riesiger Herden an den Schwarzmeerfürsten geschickt würde. Der habgierige Aldar ließ sich darauf ein.

Er stieg mit Urismag auf den Turm und erwartete die Herden der Narten. Doch der listenreiche Urismag hatte den Boten einen Text aufgegeben, den die Narten als Zeichen zum Angriff mit ihrem gesamten Heer verstanden. Die Mannen Aldars gingen der herannahenden Staubwolke unbewaffnet entgegen, um die Tiere nicht zu erschrecken. Das hatte ihnen Urismag eingeredet. Die Narten machten sie samt und sonders nieder. Urismag stürzte den Erzfeind Aldar vom Turm hinab zu Tode.
Als die Narten Urismag lebend antrafen, "da war ihre Freude groß", heißt es in dem Epos, und Urismag spottete: "Ich sehe schon, wenn ihr ohne meinen grauhaarigen Kopf bleibt, werden euch noch die Elstern in ihre Nester tragen.“"
So erzählt der Epenzyklus von Urismags letztem Abenteuer.

USK 0 von 5
Leider scheint die Zeit der großen Narten vorüber. Sie sind offensichtlich ebenso vom Antlitz der Welt verschwunden wie der ursprüngliche kaukasische Wisent. Anders kann es eigentich nicht sein, denn sie hätten wohl wahrlich genug Anlass, um mit wirbelnden Keulen, schimmernden Schwertern und vor Wut rasend die Gipfel herunterzugaloppieren.
Doch nichts dergleichen geschah oder geschieht. Weshalb? Kamen reiche Russen mit dem Geld- und Wodkakoffer? Alterssenilität, sodaß weder Gebiss, noch Schwert noch Ross gefunden werden kann? Verzagen angesichts der unzähligen Krisenherde der Region? Vieles ist möglich und ein jedes erscheint ebenso wahrscheinlich und gleichzeitig unwahrscheinlich wie das andere.
So bleibt einer ganzen Region nur zu wünschen, daß die Narten wiedererstarken und mit über die Jahrhunderte angestauter Wut und List für Ordnung sorgen. Bis dahin bleibt eine an sich so schöne Region, wie viele andere dieser Erde, ein Hort steter Unruhe.

Doch, oh Freude, eines ist gewiss, der nächste Fabeltag kommt schon bald!

© Singularis Porcus


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