Als Cherubias erwachte, stand die Sonne im Zenit. Und er lag auf einem Ochsenkarren auf Holzstämmen. "Ah, der Herr ist erwacht," erklang eine Stimme. Es war einer der Holzfäller.
"Ihr erwähntet, dass Ihr nach Averhus und Battenbrunn wolltet. Nun, da Ihr aus der Richtung Averhus kamt, dachten wir, dass Ihr nach Battenbrunn wolltet. Da dies auch unser Weg ist, Ihr aber nicht zum Erwachen zu bewegen wart, haben wir Euch kurzerhand mit verladen." "Danke!" Cherubias rutschte nach vorne, und zu dritt auf dem Ochsenkarren hockend, schwiegen sie die weitere Fahrt über, während sie die Landschaft genossen. Am späten Nachmittag erreichten sie Battenbrunn. Cherubias verabschiedete sich von seiner Begleitung und tauchte in den Ort ein.
Battenbrunn war eine große Stadt, Palisaden aus Holz und Wehrtürme umgaben sie. Zunächst suchte er anhand einer Liste einen Schließmeister auf. Ein Schließmeister nahm gegen eine gewisse Bezahlung Gegenstände von Reisenden auf. Man konnte ihm auch Dinge zusenden, die man auf seinen Reisen nicht mitnehmen wollte. Dieser Schließmeister war ein besonderer. Er stand auf der Liste der Kal Var. Und er war Mitglied in der Gilde der Schließmeister. Cherubias kaufte ein Schließfach für sich.
Dann fragte er nach einem Arzt namens Igras. Doch hier konnte der Schließmeister nur an das örtliche Hospiz verweisen. Cherubias war schon in der Tür, als der Schließmeister aus Gewohnheit nach einem letzten Wunsch fragte. "Ja, sagt, Ihr habt doch Kontakt mit anderen Schließmeistern?" "Ja." "Ich suche einen Mann Namens Clavius. Vor fünfzehn Jahren ist er mit einer Gauklertruppe durchs Land gezogen. Übles Gesindel. Ich will wissen, wo er sich aufhält." "Ich kann gerne einen Brief aufsetzen, aber die Antwort kann Monate dauern." "Ich bin ein paar Tage in der Stadt. Vor meiner Abreise werde ich Euch über mein nächstes Ziel informieren. Und Ihr werdet mir dort einen Kontaktmann nennen. Dieser wird Euch mein nächstes Ziel senden. Und teilt den Leuten mit, dass ich reise. Sollte ich also eher in der Nähe des Clavius sein, als Euer Brief bei mir. Sie sollen mich sofort informieren." "Wie werden sie Euch erkennen?" Cherubias schlug einen Teil seiner Tunika beiseite. Das Mal der Sterne kam zum Vorschein.
"Reicht das?" "Bei der Sonne, Ihr seid einer der Hüter von Shash Nor!" Cherubias drehte sich brüsk um und verschwand in der Menge. "Was meinte er mit 'Hüter von Shash Nor'?" fragte er sich, während er sich durch die Gassen wühlte. Und aus seinem tiefsten Inneren wühlte sich eine Information nach oben.
Die Statur von Shash Nor war so mächtig, das man sie zerschlagen hatte. Im Inneren fand man einen Kristall, der vor dämonischer Energie strahlte. Man zerschlug ihn, fertigte die Male der Sterne an und verteilte sie an bestimmte Kal Var. Die Hüter der Shash Nor. Sie hüteten den Kristall, der nie wieder zusammengefügt werden durfte. Daher wusste auch niemand, wie viele Hüter es gab. Es konnten nur fünf sein, genauso gut aber auch fünfhundert. "Und ich Esel hab es ihm gezeigt."
Nach einer Stunde hatte er sich zu dem Hospiz durchgefragt. Am Eingang wurde er von einem Büttel aufgehalten. "Was ist Euer Begehr?" "Ich suche einen Arzt. Igras ist sein Name." "Den gibt es hier nicht, geh weiter, Lümmel!" Cherubias war nicht nach einer Diskussion zumute. "Dann lass mich mit einem anderen Arzt sprechen!" Der Büttel reagierte nicht. Cherubias machte eine Handbewegung und eine imaginäre Schlinge zog sich um den Hals des Mannes zusammen. "Ich kann auch einfach einen Arzt für dich rufen." Der Büttel blinzelte, um sein Nachgeben zu signalisieren.
Die Pfütze zwischen seinen Beinen unterstrich diese Bereitwilligkeit. Cherubias gab den Mann frei. Eilig schloss man ihm das Tor auf, er trat in die hohen Hallen der Heilkunst ein. Cherubias war Alchimist und Heiler, es hatte ihn gereizt, Arzt zu sein, doch sein Leben war für andere Dinge bestimmt. Nach einer Weile fand er einen Arzt, der ihm jedoch nicht viel sagen konnte. Aber es gab einen Arzt, der schon lange an diesem Hospiz arbeitete. Cherubias fand ihn in einem kleinen Arbeitszimmer, wo er über Schriftrollen brütete.
"Doktor Seamus?" Der Alte sah auf. Listige Augen blinzelten ihn unwirsch durch eine Brille an. Seine langen, weißen Haare waren zu einem Zopf gebunden, und als er sich erhob, blieb er eine kleine Gestalt, zu der Cherubias hinuntersehen musste. "Wer ist da?" "Mein Name ist Cherubias. Ich suche einen Doktor Igras." "Warum sucht Ihr einen Arzt, den es nicht gibt, wenn es genug andere gibt?" "Wenn es ihn gäbe, so würde ich ihm einen Brief zeigen, in dem meine Mutter seinen Namen erwähnte. Und dann würde ich ihn zu meinen Eltern, die ich nie kannte, befragen." Cherubias ging auf das Spiel des Alten ein. "So nenne Er mir doch den Namen seiner Eltern." "Wenn ich den Namen meiner Eltern von Doktor Igras erfahren habe, werde ich ihn Euch mit Vergnügen nennen." "Ihr spracht von einem Brief eurer Mutter, hat sie ihn nicht unterschrieben?" "Doch, nur wird ihr Name nicht 'Mutter' gewesen sein!" "Darf ich den Brief sehen?" Cherubias zog das Papier aus seinem Beutel und reichte es dem Alten.
Seamus betrachtete das Papier lange und gründlich. "Seht nach, ob jemand an der Tür lauscht," flüsterte er schließlich. Cherubias tat, wie ihm geheißen, doch der Gang war leer. Seamus schob ein Regal beiseite und führte Cherubias in ein Hinterzimmer. Hier gab es nur zwei Sessel, einen Tisch mit einigen Flaschen und einigen Bechern. "Setze dich, Hüter von Shash Nor." Cherubias fiel in den Sessel. "Sie sind Doktor Igras?" "Nein, ich bin Doktor Seamus. Einen Doktor Igras hat es nie gegeben."
Der Alte nahm einen Schluck aus einem Becher. "Nach dem Krieg war es schwer, auch für eine Offizierswitwe, zwei Kinder großzuziehen. Deine Mutter hat es versucht, doch es ging nicht. Die Kal Var mussten handeln. Immerhin war dein Vater ein Hüter. Auch wenn er es leugnete. Er trug den Kristall auch nie bei sich. Sondern hatte ihn deponiert. Daher kam er in unsere Hände. Wir überlegten lange, doch dann gaben wir dich in Gleinars Obhut. Ohne dass dieser den wahren Hintergrund kannte. Wir legten dich einfach vor seiner Tür ab. Und wir wussten, wenn er den Kristall sehen würde, könnte er richtig handeln. Das hat er wohl getan, denn du bist hier.“
"Wie kann ein Bürgermeister einen Arzt kennen, der nicht existiert?" "Du bist ein magisches Wesen, doch du kannst nicht alles erlernt haben." Cherubias zog eine Augenbraue hoch. "Und das bedeutet?" "Wir wussten, dass es nicht leicht für dich sein wird, uns zu finden. Also haben wir ein paar Taschenspielertricks benutzt. Damals reisten viele Bürgermeister, Händler und Würdenträger regelmäßig in die Hauptstadt. Dabei kamen alle durch Battenbrunn.
Wir haben ein paar Jahre gewartet und dann alle interessanten Personen aus der richtigen Gegend mit einem harmlosen Gift behandelt. Ihnen wurde speiübel, Kopfschmerzen, aber sonst nichts Ernstes. Da war Doktor Igras als Wunderdoktor dann auch schnell und helfend zur Stelle. Allerdings war es niemals ich selber." Cherubias kniff die Augen zusammen. "Warum dieses Spiel?"
"Ich frage so, Cherubias. Du kamst den Spuren nach, hattest den Brief in der Tasche. Was wäre, wenn wir den Namen deiner Eltern einfach aufgeschrieben hätten. Irgendwann wäre wer aufgetaucht, hätte deine Geschichte erzählt und fertig. Nur durch den Brief mit dem Namen des Doktor Igras konnten wir sicher sein, das DU kamst. Oder dein Bruder." Cherubias neigte den Kopf. Es war das erste Mal, dass Seamus seinen Bruder direkt erwähnte.
"Wir hatten deinen Bruder im Auge. Als er adoptiert wurde, haben wir Norg beobachtet. Er war ein wunderbarer Vater. Nur, in dem Dorf fielen Fremde auf. So erfuhren wir erst ein Jahr nach der Tragödie von dem Geschehen." Seamus sah ihn traurig an. "Es tut mir Leid." Cherubias lächelte und erzählte nun kurz von seinem Ausflug nach Averhus. Seamus sank in seinen Sessel. "Damals hätten wir etwas tun können. Doch nach all den Jahren sehe ich keine Möglichkeit, Darnus zu finden." "Das wird jetzt mein Problem sein." Cherubias sah dem Alten fest in die Augen. "Wer, im Namen des Mondes, sind meine Eltern?" Seamus lächelte. "Setze dich, mein Sohn, denn die folgende Geschichte wird dir einen Schlag verabreichen." Cherubias tat es, dennoch zog ihm das Folgende den Boden unter den Füssen weg.
Wir gehen wieder etwas in der Zeit zurück - diese Fürstin wird etwa 925 geboren als Tochter Arnulfs des Bösen, Herzog von Bayern, und Judiths von Friaul. Das Herzogtum Bayern darf nicht mit dem heutigen Bundesland verwechselt werden. Kärnten gehörte dazu! Ihre Mutter Judith von Friaul stammte aus einer schwäbischen Familie, deren Kernbesitz der "Sülichgau" war. Dieser befindet sich bei Rottenburg.
Noch vor 937 wurde Judith mit Heinrich von Lothringen verlobt, vielleicht sogar verheiratet. Im selben Jahr starb ihr Vater. Heinrich von Lothringen war ein jüngerer Sohn König Heinrichs I. aus dessen zweiter Ehe. Sein älterer Bruder ist Otto der Große. Als "Purpurgeborener" machte Heinrich gegen seinen Bruder Thronansprüche geltend, konnte sie aber nicht durchsetzen. Seine Mutter bestärkte ihn in diesen Ansprüchen, vermittelte aber auch zwischen den Brüdern. Otto gab ihm 940 das Herzogtum Lothringen, wo Heinrich sich aber nicht behaupten konnte. 941 wurde er vom heimischen Adel vertrieben. Die vier ersten Ehejahre (Judith war anfangs etwa zwölf, Heinrich vielleicht 17 Jahre alt!) waren eine unruhige Zeit. Heinrich empörte sich gegen Otto, wurde von einem Halbbruder gefangen gesetzt, floh nach Frankreich und unterwarf sich 940 schließlich. Aber doch nicht so richtig: nach dem Mißerfolg in Lothringen geriet er in einem Komplott sächsischer Fürsten wieder auf die falsche Seite. Die Mutter vermittelte erneut, und seither war er dem königlichen Bruder eine treue Stütze.
Etwa 940 brachte Judith ihr erstes Kind zur Welt - eine Tochter, die Hadwig genannt wurde. Sie wurde später mit Burchard III., Herzog von Schwaben, verheiratet. Auch das zweite Kind war eine Tochter - Gerberga, die später Äbtissin des Stiftes Gandersheim wurde.
Ab 947 bis 955 war Heinrich I. Herzog von Bayern. Das Land war unter seinem Schwiegervater Arnulf eine eigenständige Herrschaft gewesen mit dem Recht zur Ernennung von Bischöfen und zur Einberufung von Synoden sowie dem Recht, Münzen zu schlagen und Zölle zu erheben. Diese Rechte hat Otto der Große aber schnell wieder kassiert.
Erst 951 kam der Erbe zur Welt, Heinrich, später genannt "der Zänker".
Ab dem Jahre 950 war der Herzog von Böhmen dem Herzog von Bayern unterstellt, und von 952 gehörte auch das Friaul zu Bayern. Im Liudolfinischen Aufstand ab 953 stand Heinrich deutlich auf Ottos I. Seite. Da erhob sich Ottos des Großen ältester Sohn gegen den Vater und zog auch Judiths Bruder, Pfalzgraf Arnulf II. von Bayern auf seine Seite. Dieser Aufstand erschütterte das junge Reich derart, daß die Ungarn ungehindert wieder in Bayern einfallen konnten. Erst 955 waren sämtliche Empörer, unter ihnen auch geistliche Fürsten, besiegt oder durch Verhandlungen umgeschwenkt, und durch die Schlacht auf dem Lechfeld auch die Ungarngefahr gebannt.
Nach dem Tode ihres Mannes im Jahre 955 übernahm Judith die Vormundschaft über ihren erst vierjährigen Sohn Heinrich II. und gleichzeitig die Regentschaft im Herzogtum. Dies fand die Zustimmung ihres königlichen Schwagers. Ihr zur Seite stand dabei Abraham, Bischof von Freising. Für zehn Jahre handelte sie sehr aktiv als "dux et domina" im Herzogtum. Widukind von Corvey beschreibt sie als "eine Frau von herrlicher Gestalt und außerordentlicher Klugheit". (Damit ist nicht ein ästhetisch ansprechendes Äußeres gemeint, sondern das Auftreten, die Körpersprache - "herr"-lich bedeutet "dominant".)
Das Stift Niedermünster (Regensburg) bezeichnet sie und nicht den Herzog in erhaltenen Urkunden als seinen Gründer. Judith ließ ihren Gatten in Niedermünster beisetzen.
Im Jahre 966 wird Heinrich II. regierungsfähig und die Mutter übergibt ihm die Regierungsgeschäfte. In die Auseinandersetzungen des "Zänkers" mit Kaiser Otto II. greift sie nicht mehr ein. Aber sie zieht sich nicht zurück: bis 973 unternimmt sie eine Pilgerreise ins Heilige Land! Von dort bringt sie Reliquien mit, die sie dem Stift Niedermünster übereignet. In diesem Jahr bekommt sie von Otto dem Großen die Saline Reichenhall geschenkt, auch Niedermünster wird mit Grundbesitz und damit Einnahmen ausgestattet. Und dann zieht Judith sich dorthin zurück. An einem 29.06. nach 985 ist sie im Stift Niedermünster gestorben. Ihr Grab befindet sich neben dem ihres Mannes, Herzog Heinrichs I., vor den Stufen des Hochaltars.
An die Tuer der Schlosskirche zu Wittenberg an der Elbe soll er sie genagelt haben, seine 95 Thesen zum Ablasshandel.
Fakt ist, dass Martin Luther sie als Anlage zu einem Brief an den Erzbischof von Mainz und Magdeburg geschickt hat. Gedacht waren sie als Disputationsgrundlage Da er keine Antwort erhielt, gab er sie an Bekannte weiter. Diese wiederum brachten sie an die Oeffentlichkeit.
Der eigentliche Thesenanschlag an besagte Kirchentuer ist umstritten, da es dafuer keine Augenzeugenberichte gibt. Melanchton, ein enger Vertrauter Luthers, auf den die Annahme zurueckgeht, traf erst im darauffolgenden Jahr in Wittenberg ein.
Allerdings wurde im Jahre 2006 eine Notiz von Luthers Sekretaer gefunden, die bestaetigt, dass es sich so zugetragen hat. Doch auch der Sekretaer war vermutlich kein Augenzeuge.
Letzlich ist es wohl auch egal, ob Dr. Luther zu Hammer und Nagel gegriffen hat. In der Folge der 95 Thesen wurde die roemisch-katholische Kirche ein weiteres Mal gespalten, auch wenn das anfangs nicht die Absicht gewesen ist.
Weil die Wirkung derart durchschlagend war, wird der 31.Oktober 1517 – der Tag, an dem oben erwaehnter Brief datiert ist – als Beginn der Reformation betrachtet.