Ausgabe 153 | Seite 3 30. Mai 2010 AD
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Drachen Teil 11

Sigurd und der Tod Fafnirs

Diese Woche kehren die Drachen wieder und verkünden gleichzeitig ihren Abschied.
Mit diesem elften Teil endet meine Drachenreihe.

Grund genug, mich nochmals richtig in die Mythologie zu stürzen und einen fetten Fisch für euch an Land zu ziehen. Und wo gelänge ein solcher Fang besser, als in der nordischen Mythologie? Somit blättern wir, wie bereits im dritten Teil meiner Drachenreihe, wieder in der Edda. Lassen uns neuerdings verzaubern von der kalten Nordwelt, während warmer Met beruhigend neben uns dampft und die Sonne wohlige Wärme verbreitet.

Wohlan, hinein!

Fafnir ist ein Sohn des Riesenkönigs Hreidmar. Otur und Regin seine beiden Brüder, Lyngheid und Lofnheid seine beiden Schwestern. Otur fing sich eines Tages in Ottergestalt einen Lachs im fischreichen Wasserfall Andvari´s, Sohn des Zwergs Oinn. In jenem Moment als Otur den Lachs verspeisen wollte, traf ihn ein Stein tödlich am Kopf. Die drei Asen Loki, Odin und Hoenir waren des Weges gekommen und Loki hatte den Stein geworfen.

Sie zeigten Hreidmar, bei welchem sie nächtigten, das prächtige Otterfell, woraufhin dieser darin seinen Sohn Otur erkannte. Mithilfe seiner Söhne Fafnir und Regin setzt Hreidmar die drei Asen mit unzerbrechlichen Ketten gefangen und fordert Sühne. Als Wergeld bestimmte Hreidmar, Otures Otterfell müsse innen und außen mit rotem Gold bedeckt werden. Mit dem Netz Ráns, kehrt Loki zum Wasserfall Andvaris´ zurück und fängt damit einen Hecht.

Dieser Hecht ist der Zwerg Andvari, welcher, dergestalt sich sein Essen fing. Desweiteren hütet Andvari einen legendären Goldschatz, dessen Prunkstück der Goldring Andvaranaut darstellt. Loki verlangt von Andvari, als Preis für dessen Freiheit, den Schatz. Obendrein auch jenen Ring, welchen Andvari behalten wollte, da er mit dessen besonderer Gabe Gold zu mehren, seinen Schatz wieder hätte mehren können. Doch Loki besteht auf den Ring. Da wurde der Zwerg zornig und verfluchte den Ring.

Er solle zwei Brüdern den Tod und acht Fürsten Fehde bringen und niemandem von Nutzen sein. Daraufhin zog sich Andvari in einen Stein zurück, welche seither neben dem Erdreich als Heimstätte der Zwerge gelten.

Loki gibt den Schatz samt Ring Odin, jener reicht alles weiter an Hreidmar. Das Wergeld war bezahlt, die Asen zogen weiter. Der geizige Hreidmar allerdings weigert sich, das Wergeld mit seinen Söhnen zu teilen, woraufhin er von Fafnir erstochen wird. Fafnir beansprucht den Schatz für sich allein und droht seinem Bruder Regin mit dem Tode, sollte dieser auf seinen Anteil bestehen. Regin flieht.

Fafnir zieht sich in eine Höhle auf der Gnitaheide zurück und liegt dort, seinen Schatz bewachend, auf dem Golde. Dort verwandelt er sich nach und nach in einen Lindwurm und nutzt Oegishjalmr, einen Schreckenshelm, um seinem Anblick noch größeren Schrecken zu verleihen.

Jahre später wird Sigurd geboren. Er ist Sohn Sigmunds, des letzten Kriegerkönigs der Wälsungen und dessen Frau Hjordis. Nach dem Tode Sigmunds heiratet seine Witwe einen Sohn des fränkischen Königs Hjálprek. Dieser liebte seinen Stiefsohn wie seine eigenen Söhne, vielleicht gar mehr, da nur Sigurd den Mut eines Königs besaß. Doch auch ein anderer wußte um die Heldenhaftigkeit Sigurds. Der Zwerg Regin lebte ebenfalls an jenem Hof und wurde zum Ziehvater Sigurds.

Sein listiger Verstand begann ein Netz der Intrigen und Irreführungen zu spinnen, in welches er den ahnungslosen Jüngling lockte. Denn, würde ein bestimmter Drache getötet werden, könnte er, Regin, unermeßlichen Reichtum und Macht erlangen. Und von allen Sterblichen erschien ihm nur Sigurd zu solch einer Tat in der Lage. Mit gezielten Hinweisen auf Fafnir und Verweisen auf Sigurds Heldenpotential, stachelt der Zwerg diesen schließlich zum Kampf gegen den Drachen an.

Das Töten eines solchen Monsters würde Sigurd große Ehre und Achtung einbringen. Scheinbares Desinteresse am Schatz vorgaukelnd, versprach Regin, daß er Sigurd begleiten und ihm bei der Vernichtung der angsteinflößende Kreatur beiseite stehen würde, sollte jener diese kühne Tat wagen. Außerdem versprach Regin, daß er es vermöge, die zerbrochene Klinge von Sigmunds Schwert zu einem neuen Schwert zusammenzufügen. Dadurch wäre garantiert, daß Sigurds Konfrontation mit dem Drachen erfolgreich ende.

Getreu der Sage, hatte Odin im Apfelbaum in der Halle von Sigmund, Sigurds Vater, ein Schwert plaziert, welches nur derjenige herausziehen könne, für den es bestimmt sei. Dies gelingt Sigmund. Allerdings entzieht ihm Odin in der Schlacht gegen Hundings Söhne die Gunst und zerstört persönlich Sigmunds Klinge. Bevor Sigmund nach Walhalla gelangt, beauftragt er seine Frau Hjordis, die Trümmer des Schwertes für ihren ungeborenen Sohn Sigurd aufzubewahren.

Wie von Regin nicht anders erwartet, war für Sigurd die Aussicht auf die Wiederherstellung der Klinge verlockend genug. Gemeinsam schmiedeten sie aus den Trümmern ein neues Schwert, welches sie fortan Gram nannten. Doch bevor er den Kampf mit Fafnir aufnahm, wollte Sigurd erst den Tod seines Vaters rächen. Aus Hjálpreks Gestüt erwählt er den Hengst Grani und tötete mit Gram die Söhne Hundings, welche Sigmund töteten. Nach vollzogener Rache ritten Sigurd und Regin durch die öde, unfruchtbare Landschaft der Gnitaheide. Sigurd glaubte die Habgier und Tücke Regins gut genug zu kennen, doch er sollte sich täuschen.

Seit Jahrhunderten nagten Träume von Fafnirs Schatz in Regins Kopf. Immer wieder sah er Fafnir vor sich, dessen große Krallen die kalten, glitzernden Münzen und Juwelen streichelten, die überall haufenweise herumlagen und von dessen funkelndem, mit Schuppen bedeckten Körper umhüllt wurden. Lange hatte Regin auf die passende Gelegenheit gewartet, nun schien sie, in der Person Sigurds, endlich gekommen. Nachdem Fafnir getötet wäre, gehörte ihm dessen Reichtum und die geheime wertvolle magische Macht. Sigurd würde er dann nicht mehr benötigen. Ein Lächeln, dunkel und frostig wie seine Gedanken, huschte wie eine Schlangenzunge über Regins Gesicht, während er hinter Sigurd auf Fafnirs Höhle zuritt.

An der Höhle angelangt, war nirgends eine Spur von Fafnir zu sehen. Denn zu dieser Zeit trank er für gewöhnlich an einem nahegelegenen Strom. Regins Rat befolgend, grub Siegfried ein tiefes Loch mitten auf dem üblichen Rückweg Fafnirs und versteckte sich darin. Regin tarnte die Öffnung mit Zweigen. Aufgrund seiner prächtigen Schuppen konnte Fafnir kaum mit blanker Waffengewalt bezwungen werden, nur sein Bauch war verletzbar, er stellte die Stelle für den tödlichen Stoß dar. Schleppend verstrichen die Stunden für Sigurd, während er still in dem Loch kauerte. Dann drang plötzlich ein zischendes Geräusch an seine Ohren. Etwas außerordentlich Großes und Schweres bewegte sich auf dem Pfad, genau in Sigurds Richtung. Es war Fafnir.

Mit beiden Händen fest umschlossen hielt Sigurd den Griff Grams und hob die Waffe soweit hoch, daß sich die Spitze der Klinge direkt unter der verborgenen Öffnung des Verstecks befand. Sekunden später standen schon ein Paar riesiger Gliedmaßen links und rechts neben der Grube, als der Lindwurm gemähchlich darüber glitt. Seinen ungeschützten Bauch unwissend der Gefahr preisgebend. Mit aller Kraft stieß Sigurd Gram nach oben und fühlte, wie die Schneide tief in Fafnirs Rumpf eindrang. Der Drache schrie und bäumte sich auf, doch es war um ihn geschehen. Im Sterben warnte Fafnir Sigurd noch vor dem Fluch, welcher auf dem Golde läge.

Kaum hatte Sigurd sein Schwert aus dem Kadaver geholt, erschien Regin mit vor Entzückung glänzenden Augen. Ohne ein Wort nahm er seine eigene Waffe, das Schwert Ridil, und schnitt das Herz aus dem Körper seines toten Bruders. Daraufhin bat er Sigurd, ein Feuer zu entfachen, das Herz zu braten und es ihm dann anschließend zum Essen zu geben. Es sei ein alter Glaube, daß man so den Mut des Toten annehmen könne.

Trotz allen Argwohns sah Sigurd keinen Grund an Regins Worten zu zweifeln, schließlich hatte er ja bislang sein Wort gehalten. So briet er das Herz, doch bevor er es dem Zwerg überreichte, berührte er es mit einem Finger, um zu testen, ob es bereits gar war. Dabei verbrannte sich Sigurd und steckte den Finger in seinen Mund, zur Linderung der Schmerzen. Als Fafnirs Blut ihm auf die Zunge geriet, vernahm er augenblicklich schnatternde Stimmen über ihm. Er blickte nach oben und stellte erstaunt fest, das er nun die Sprache der Vögel verstand.

Aufgeregt warnten ihn Kleiber, das Regin beabsichtige, ihn zu töten. Rasch wich das Erstaunen in Beunruhigung. Er solle lieber auch Regin erschlagen und den Schatz selbst an sich nehmen, rieten ihm die Vögel. Von dem Geld könne er sich eine Braut kaufen, und zwar die Tochter des Gjúki. Auf dem Weg dorthin werde er auf den Berg Hindarfjall kommen. Dort stehe eine von Feuer umgebene Burg, in welcher eine in Ungnade gefallene Walküre schliefe. Weil sie andere Krieger gefällt, das heißt getötet hatte, als Odin befohlen hatte, war sie zur Strafe von ihm mit dem Schlafdorn gestochen worden.

Erzürnt rannte Sigurd zu Regin. Als er in dessen, von boshaftem Hass erfüllte Augen blickte, erkannte er nur zu deutlich den Wahrheitsgehalt der Worte der Vögel und die Täuschung Regins. Wenige Augenblicke später reinigte er Gram erneut, während Regins Kopf den Pfad entlang rollte und schließlich neben dem Kadaver seines Bruders liegenblieb. Der erste Teil von Andvaris Fluch hatte sich erfüllt. Sigurd belud den Hengst Grani mit dem Schatz und ritt in Richtung Hindarfjall davon.

An dieser Stelle enden meine Ausführungen, Sigurds Abenteuer jedoch noch lange nicht.

Ich wünsche allen Interessierten viel Spannung bei der Fortsetzung der Lektüre!

© Singularis Porcus




Drache Fafnir an der Kaiserbrücke (Mainz)

Sprechende Steine

Das, was uns selbstverständlich ist, die Fähigkeit des Lesens und Schreibens, war für den Menschen des Mittelalters bis zu Zeit der Reformation das Vorrecht einer kleinen Minderheit. Selbst der Adel und die Könige hatten ihre Schreiber und Vorleser.

Bilder und Symbole an den Wänden waren wie Bilderbücher. Hier konnte man erfahren, um was es in der Bibel eigentlich ging. Die Messen wurden in lateinischer Sprache abgehalten. Nur die Gelehrten verstanden diese Sprache – Ärzte, Juristen, Priester, die Minderheit, die eine Lateinschule besuchen konnte. Der einfache Bürger, Bauer oder gar das Gesinde verstand nur, wann man sich zu bekreuzigen hatte oder auf die Knie gehen musste. Für den Latein unkundigen Hörer musste dem Weihrauch geschwängerten Zelebrieren der Messen etwas Magisches, Unheimliches und Einschüchterndes innegewohnt haben. Durch die gegenständlichen Kunst kam ein Licht ins Unverständliche. Bibeln gab es nur in Latein für die Priester und Klöster. Die Bauern und das Gesinde hörten von den Mönchen, Dorfpfarrern und Wanderpredigern in ihrer Muttersprache die Botschaften der Bibel.

Es geht weiter mit dem Buchstaben A.
Heute sind Figuren dabei, die wir nicht mit der Bibel in Verbindung bringen würden.

Aehre

Sie war den mittelalterlichen Menschen vertrauter als uns heute. Wir haben im Alltag mehr mit dem Endprodukt, dem Brot zu tun. Im Alten Testament finden wir die Josefsgeschichte (1. Mose 41). Der Traum des Pharaos "Sieben fette Ähren werden von sieben mageren Ähren verschlungen" deutet Joseph so: Nach sieben guten Jahre folgten sieben Hungerjahre. Bekannte Darstellungen: Fresken aus dem 12. Jh. in Poitou und ein Mosaik in der Vorhalle von S. Marco in Venedig.

Affe

Im Mittelalter waren Affen aus dem Orient bekannt. Der Affe galt Symboltier des bösen, arglistigen, lasterhaften Menschen, auch der Wollust, der Torheit, des Neides oder der Eitelkeit. Das Wort nach Nachäffen kommt daher.

Der frühchristliche Physiologus ist für die religiöse Bildersprache grundlegend gewesen. Er schreibt zum Affen folgendes: "Der Affe ist auf die Gestalt des Teufels zu deuten. Denn wenn er auch einen Anfang hat, nämlich einen Kopf, so hat er doch kein Ende, nämlich keinen Schwanz. Und auch der Teufel hat kein schönes Ende. An seinem Beginn war er einer von den ersten Engeln, aber sein Ende wurde nicht für gut befunden. Und auch der Affe, der keinen Schwanz hat, ist unschön, denn mißgestaltet ist der Affe ohne Schwanz."

"Das Tier ist zur Nachahmung sehr geneigt und bösartig. Was es den Menschen machen sieht, das tut es auch in gleicher Weise." Dann wird beschrieben, wie man mittels Leim einen Affen fangen könne - und genau so wie der Jäger den Affen, so fange der Teufel den Menschen und habe ihn dann wie einen gebändigten Affen am Strick.

Affendarstellungen: Notre Dame, Paris, in den Kathedralen von Chartres und Amiens aus dem 13. Jh.

Akrobat

An romanischen Kapitellen und Portalen begegnen uns Jongleuere, Seiltänzer, Clowns, Männer in kunstvollen Verrenkungen. Einerseits verkörperten sie die Freiheit gegenüber der bürgerlichen Ständeordung, andererseits waren sie dem etablierten System verdächtig. Das fahrende Volk war an zahlreichen Wallfahrtsorten anzutreffen. Sie zogen so viele Besucher an, aber wurden dämonischer Kräfte, besonders des Lasters der Sinnlichkeit verdächtigt.

Darstellungen: St. Martin in Tours, Ste Madeleine in Vézelay

Ameise

Sie ist in einigen alten Kulturen ein Symboltier der Tugend. In China ist sie das Zeichen der Vaterlandsliebe, bei den Römern Wappen der Fruchtbarkeits- und Erntegöttin Ceres. In der Bibel steht sie für Klugheit und Fleiß. Im Alten Testament heißt es von ihr in Sprüche 6,6ff: „Geh zur Ameise, du Fauler, sieh an ihr Tun und lerne von ihr! Auch wenn sie keinen Fürsten noch Hauptmann noch Herrn hat, so bereitet sie doch ihr Brot im Sommer und sammelt ihre Speise in der Ernte.Wie lange liegst du, Fauler? Wann willst Du aufstehen von deinem Schlaf?“

Den Kirchenvätern z.B. Augustinus war sie Symbol der Glaubens- und Lebenspraxis. Nach dem Physiologicus sammelte sie nur Brotgetreide Gerste (Viehfutter) aber verschmähte sie. So sollen die Menschen sich ein Beispiel an ihr nehmen und die Lehre der Häretiker (die Gerste) verschmähen. Das Brotgetreide ist der unbedingte Glaube an Christus (so der Physiologus).

Die Ameise ist das Wappentier der Grafen von St. Quintin. eine Region zwischen Nordostfrankreich und dem heutigen Belgien.

Als Wappentier taucht die Ameise zwar selten auf aber zwischen Finnland und der Steiermark ist sie immer mal wieder zu finden.

© Amhara von Agora und Thalassa von Kerygma


Vom Prinzen, der auszog, einen Drachen zu erschlagen

Ein junger Königssohn wollte sich beweisen und einen Drachen erschlagen, machte sich auf den Weg, fand eine Drachenhöhle und schlich langsam ins Dunkel... kein Drache nirgends..

Plötzlich spürte er ein Gewicht auf seiner Schulter, drehte den Kopf und starrte genau dem Drachen ins Maul, der ihn mit einer Kralle festhielt und im nächsten Moment versengen würde. Aber der änderte seine Meinung und hatte Lust auf ein Spielchen: "Du bist gekommen, mich zu erschlagen??! Nun, ich gebe dir eine Chance. Du hast ein Jahr Zeit, mir die Antwort zu bringen auf die Frage, die dein Leben retten kann - und denke ja nicht, du könntest dich vor mir verstecken! Beantworte mir folgende Frage: Was wünscht sich jede Frau wirklich? Wenn du mir das sagen kannst, lasse ich dich am Leben."

Schlotternd verließ der Jüngling die Drachenhöhle und begab sich auf das königliche Schloß. Ein Jahr lang befragte er alle Frauen nach ihren Wünschen - junge und alte, reiche und arme, ledige, verheiratete, verwitwete...

Ein Jahr lang hörte er sich die Antworten der Frauen an - aber leider wünschten sich alle etwas anderes, ja, manche verabscheuten gerade das, was andere von Herzen ersehnten. Als er gar nicht mehr weiter wußte, riet ihm seine Amme, in den Wald zu gehen und eine alte Hexe zu befragen, die im Rufe großer Weisheit stünde.

Tief im Walde fand der Königssohn das Hüttchen der Hexe. Mit großer Überwindung trug der Prinz der Hexe sein Anliegen vor. Denn sie war nur unwesentlich weniger schrecklich als der Drache - alt, häßlich, übelriechend. Und die Hexe hörte ihn an. Dann dachte sie lange nach. Als sie meinte, die Antwort gefunden zu haben, sagte sie zu ihm: "Das ist eine wirklich schwierige Frage - aber ich sage dir die Antwort erst, wenn du meine Bedingung akzeptierst." Da dem Königssohn nichts anderes übrig blieb, versprach er unbesehen alles. Und die Hexe verlangte, daß er sie heiratet. Sollte der Drache ihn am Leben lassen, dachte der Prinz, daß er dafür gut so ein Scheusal heiraten könne, anschließend auf ein kleines Waldschlößchen setzen und königlich versorgen, ihre Anwesenheit ertragen müßte er dann auch nicht mehr - also willigte er ein.

"Was sich jede Frau wirklich wünscht," sagte die Hexe, "ist, selbst entscheiden zu können." Diese Antwort leuchtete dem Prinzen ein, und da das Jahr herum war, suchte er alsbald die Drachenhöhle auf. Daß er kam, imponierte dem Drachen, und er wartete gespannt auf die Lösung seiner Rätselfrage. Da der Drache der Hexenweisheit nichts erwidern konnte, entließ er den Prinzen mit Dank: "Weise ist deine Antwort, werde so ein weiser Herrscher, wie du begonnen hast!"

Da die Hexe auf der Einlösung des Heiratsversprechens bestand, beraumte der König nach kurzem Familienrat die Hochzeit für seinen Sohn an. Sie sollte möglichst unspektakulär und im kleinstmöglichen Rahmen über die Bühne gehen. Und dennoch war die Zeremonie für den Prinzen und alle anderen Gäste, solange die Hexe im Raume war, eine echte Anfechtung. Sie sah nicht nur schrecklich aus und roch auch so - sie benahm sich ebenso, rülpste und furzte. Alle waren heilfroh, als sie den Bankettsaal verließ.

Doch nun kam der schwierigste Teil. Die Ehe ist nur gültig, wenn sie auch vollzogen wird. Der Prinz trank sich Mut an. und nach dem herzlichen Zuspruch von Mutter und Vater, seinem besten Freund und dem Stallmeister begab er sich zum Brautgemach. Im Ankleidezimmer ließ er sich nur aus der Oberbekleidung und den Stiefeln helfen, dann schickte er seinen Lakai fort, holte tief Luft und öffnete die Tür zum Hauptraum.

Dort erwartete ihn ... eine wundervolle geschmeidige Schönheit, derentwegen der Prinz sich nie und nimmer hätte Mut antrinken müssen! Diese faszinierende Frau sagte zu ihm: "Ich bin die Hexe, die du widerwillig geheiratet hast, weil du mir dein Wort gabst. Dies ist meine andere Seite. Du kannst nun wählen - soll ich so aussehen des Tags - aber nachts das widerwärtige Scheusal sein, oder soll ich des Nachts dein Geheimnis sein, tagsüber aber die abstoßende Hexe?"

Der Jüngling grübelte.. und - gar nicht lange - da hatte er die Antwort: "Sei so, wie du sein willst, wann auch immer du willst." Denn will nicht jede Frau selbst entscheiden können? Da erklärte mit funkelnden Augen die Schöne: "Wir werden eine sehr interessante Ehe führen!" Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute...

© Amhara von Agora und Thalassa von Kerygma


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