Ausgabe 149 | Seite 4 2. Mai 2010 AD
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Drachen Teil 8

Der Fluch des Lambton-Wurms

Am Morgen jenes Ostersonntags im Jahre 1420 eilte ein Jeder aus dem Dorf Washington, das in der Nähe des Flusses Wear, in der englischen Grafschaft Durham lag, getreu zur Kirche. Ein jeder, das heißt, alle außer John Lambton, dem jungen Erben vom benachbarten Schloß Lambton.

Der junge Mann scheute den geistlichen Zuspruch und die Befolgung des Sabbats, viel lieber ging er seinen Vergnügungen nach. So machte er sich fröhlich pfeifend auf, am Fluß zu fischen. Unter den missbilligenden Blicken der Kirchgänger, versteht sich.

Jedoch, etwas war seltsam an diesem Tage. Der Morgen wurde bereits zum Nachmittag und noch immer hatte nicht ein einziger Fisch angebissen. Dementsprechend verfinsterte sich das Gemüt des Mannes, der sich selbst für einen der besten Angler ansah, mit jeder Minute, die erfolglos verstrich. Schließlich platze ihm der Kragen und er stieß einen lauten gotteslästerlichen Fluch aus.

Und siehe da, prompt geschah etwas. Einer Welle zitterte über die Flußoberfläche. Kurz darauf fühlte er, daß etwas an der Angelleine zerrte. Der Mann grinste breit und holte die Leine erwartungsvoll ein. Was sich ihm aber präsentierte, war kein Fisch. Zunächst dache er, es handele sich um eine Art Wasserwurm oder Blutegel, klein, aber länglich, von schwarzer, glänzender Haut umhüllt. Da hob das Geschöpf seinen Kopf und sah den jungen Mann unvermittelt an. Selbst dem unbesonnenen John Lambton stockte in diesem Moment der Atem, so erschauderte er vor Grauen. Dieser unerwartete Fang hatte den Kopf eines Drachens und das Gesicht eines Teufels.

Der Schlund des Wesens war schlank, voll mit langen, nadelartigen Zähnen und eine übelriechende Flüssigkeit entwich aus neun kiemenartigen Schlitzen, die sich beiderseits seines Nackens befanden. Doch am meisten schauderte Lambton vor den Augen. Wie vereiste Kohlen glitzerten sie und fingen seine eigenen in eisiger hypnotischer Trance ein. Während er so hilflos in sie starrte, tanzten all die Sünden seiner Jugend wie spöttische Gespenster in ihrer boshaften Dunkelheit.

John Lambton behielt eigentlich all seine Fänge, doch angesichts dieses Etwas, war er allzu gerne bereit von seinen Prinzipien abzuweichen. Daher beschloß er, die ekelerregende Kreatur in einen nahegelegenen Brunnen hinabzustoßen und somit dem Vergessen anheim zu geben. Auf dem Weg dorthin traf er einen alten Mann. Dieser riet ihm tunlichst, den Wurm zu behalten. Der junge Mann überlegte kurz, entschied sich letztlich aber dagegen und warf das Untier in den Brunnen.

Jahre vergingen friedlich, der junge Lambton vergaß die Ereignisse jenes Ostersonntags, nichtsahnend, daß in der düsteren Tiefe des Brunnens sein Gefangener gedieh. Das Wesen wuchs beständig, wurde größer und stärker. Folglich entdecken eines Morgens die Bewohner Washingtons eine seltsame Spur aus glitzerndem, säurehaltigem Schleim, welche vom Brunnen zu einem nahegelegenen Hügel führte. Dort angelangt, tat sich ein schreckliches Bild vor ihren Augen auf.

Ein scheußlicher gliedloser Drache lag dort und sonnte sich. So riesig, daß sein schlangenartiger Körper den Hügel neunmal umwand. Bläulicher Schleim vertrocknete das Gras rundum, giftiger Dampf stieg spiralförmig aus seinem Maul auf und ließ die Blätter der Bäume welken. Nachts verließ er seinen Hügel, um Milch zu stehlen, Schafe zu fressen, sowie Mädchen und Frauen zu jagen. Daraufhin erinnert sich der junge Herr von Lambton seiner Tat und versucht diese, mittels Teilnahme an einem Kreuzzug im heiligen Land, abzubüßen.

Davon unbekümmert wächst der Lindwurm weiter und bedroht schließlich gar die Burg Lambton. Voll der Verzweiflung versuchen die Menschen, das Monster mit einer altherkömmlichen Methode, welche bei Drachenplagen gewöhnlich angewandt wurde, zu besänftigen, dem Milchopfer. Dazu füllten sie einen riesigen steinernen Trog mit der frischen Milch von neun Kühen und stellten ihn in den Innenhof von Schloß Lambton, wo der Wurm ihn leicht sehen konnte. Wie erwartet und erhofft, glitschte das Wesen rasch heran und verschlang das Opfer. Für den Rest des Tages und die folgende Nacht verharrte es ruhig um seinen Zufluchtsort, den Hügel, gewunden. Als der Drache aber am folgenden Morgen keine Milch vorfand, tobte er vor Zorn, während sich die Menschen ängstlich in ihren Häusern zusammenkauerten. Von da an brachten sie dem Wurm jede Nacht einen neuen Trog Milch als Opfer dar.

Immer wieder zogen in der Folgezeit einige Wagemutige aus, den Drachen mit Schwert oder Lanze zu bekämpfen. Selbst wenn es ihnen gelang, das Biest zu halbieren, die abgetrennten Körperteile vereinigten sich so rasch wieder miteinander, daß der Wurm seinen Angreifern kaum die Möglichkeit gab, ihre Tat zu wiederholen oder die Flucht anzutreten.

Sieben lange Jahre wütet der Wurm derart in der Umgebung von Washington, ehe der junge Herr von Lambton vom Kreuzzug geläutert heimkehrte und seine Heimat verwüstet und verlassen vorfand. Er begab sich zur Burg und bat seinen Vater um Verzeihung. Jener gewährte seinem Sohn diese Gunst, beauftragte ihn aber, das von ihm heraufbeschworene Unheil zu beenden. Dazu solle er eine alte Hexe um Rat bitten.

Die Hexe erklärte ihm, daß es ihm nur dann gelänge, das Untier zu töten, wenn er eine spezielle Rüstung mit scharfen Klingen auf der gesamten Oberfläche tragen und ihm in der Mitte des Flusses gegenübertreten würde. Just an jener Stelle, wo er es ursprünglich gefangen hatte. Sie versäumte nicht, den jungen Mann darauf hinzuweisen, daß er als Preis für seinen Sieg das erste Wesen erschlagen müsse, dem er nach seinem Kampf begegne. Missachte er dies, würde ihn ihr Fluch ereilen und über neun Generationen keiner der Herren von Lambton eines friedlichen Todes im Bette sterben. John Lambton willigte ein. Zurück auf der Burg veranlaßte er unverzüglich die Fertigung der mit Klingen verzierten Rüstung und vereinbarte mit den Bewohnern, auf sein Signal hin, dann seinen geliebten Jagdhund zum Tor hinauszuschicken.



Illustration of John Lambton battling the Worm




Daraufhin begab er sich, in seine neue Rüstung gekleidet, hinaus aufs Feld. Mittels flinker und vorausschauender Schwertführung lockte er den Wurm nach und nach in das schnellfließende Wasser des Wear, bis hin zu der Stelle, an welcher er ihn Jahre zuvor gefangen hatte. Dort angekommen verharrt der junge Mann. Das Monster ergriff die scheinbare Gunst und umschlang ihn mit seinem Körper. Aber je mehr es den Druck auf die Rüstung erhöhte, desto tiefer schnitten ihm die messerscharfen Klingen der Rüstung in den Körper. Durch zusätzliche Schwerthiebe zerstückeln diese den Wurm schließlich in mehrere Teile, die die Strömung des Flusses davontreibt, ehe sie sich wieder verbinden können. Der fürchterliche Lambton-Wurm war getötet.

Überglücklich ob des davongetragenen Sieges watete der junge Herr von Lambton ans Ufer und blies sein Horn als Signal. Sein Vater vergaß, freudetrunken, die Abmachung und eilte ihm als erster entgegen. Als der junge Mann dies sah, wurde er ganz blaß, in dem Wissen das er nun seinen Vater töten müsse, andernfalls griff ja der Fluch der Hexe. Doch er vermochte seinen Vater nicht zu töten. Stattdessen tötete er seinen getreuen Hund, in der Hoffnung, dies Opfer würde genügen. Aber es reichte nicht aus. John Lambton wurde vom Fluch ereilt, ebenso wie nächsten acht Herren von Schloß Lambton ein tragisches Ende fanden.

Einige ergänzende Dinge:
- Der Wurmhügel wird im "Worm Hill" bei Fatfield gesehen, einem künstlich aufgeschütteten Hügel von 153m Höhe nördlich des Flusses Wear.
- Der Wurmbrunnen liegt zwischen Wear und "Worm Hill". Der steinerne Brunnen verfügte früher über ein Dach sowie einen eisernen Schöpfeimer.
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts stand er im Ruf, ein Wunschbrunnen zu sein, dort fanden die Mitsommernachtsfeierlichkeiten der Gegend statt.
- Die Burg Lambton Hall der Sage ist nicht zu verwechseln mit dem heutigen Lambton Castle. Letztere wurde erst um 1800 erbaut, während die alte Burg bereits 1787 nicht mehr stand. Sie befand sich ursprünglich auf der rechten Seite des Wear, gegenüber dem neuen Anwesen. Auf Lambton Castle steht heute eine Statue John Lambtons als Drachentöter, der in Stachelrüstung den Lindwurm erschlägt. Auch soll hier früher ein Stück "Drachenhaut" aufbewahrt worden sein, ebenso der steinerne Trog, aus dem der Wurm die Kuhmilch trank.
- In den 1930er Jahren wurden Zigarettenkarten herausgegeben, die englische Legenden darstellten, darunter auch die des Lambton Wurms.
- In Washington gibt es selbstverständlich heute eine Kneipe mit Namen "The Lampton Worm", samt farbenfrohem Schild, vesteht sich.

© Singularis Porcus




Atilla und der Rückzug der Hunnen

In den letzten beiden Artikeln über die Völkerwanderung beschrieb ich die militärische Überlegenheit des asiatischen Reitervolkes durch ihre stabilen Sättel und ihre Reflexbogen. Ich vertrete die These einiger Historiker und Naturwissenschaftler, dass der Zug der Hunnen aufgrund drastischer, klimatischer und daraus folgend wirtschaftlicher Veränderungen geschah. Im Osten muss sich eine Hungerkatastrophe durch Kälteeinbruch ereignet haben, wie sie nur mit der Dürre in der Sahelzone verglichen werden kann. Dies wäre eine plausible Erklärung, warum das Nomadenvolk in kompletten Stammesverbänden, mit Frauen und Kindern, Alten und Kranken, nach Westen zog. Die Hunnen kamen nicht etwa als wilder Haufen von anarchischen Freischärlern, als die sie immer wieder dargestellt werden. Viele kleine Stammeseinheiten bildeten eine arbeitsteilig gegliederte Gesellschaft mit straffen Hierarchien.

Unter den Hunnen gab die verschiedenartigsten Handwerksberufe. Sie hatten Kürschner, Goldschmiede, Zimmerleute, Holz- und Elfenbeinschnitzer, Tischler, Sattler, Kesselflicker, Töpfer, Wagner und Waffenschmiede. Hochentwickelte, handwerkliche Fähigkeiten waren nötig, um ihre Wunderwaffe, den Reflexbogen, herzustellen.

Nach dem Tod des Großkönigs Ruga wurden seine Neffen Atilla (um 406 bis 453) und Bleda seine Nachfolger. Durch die Ermordung seines eigenen Bruders wurde Atilla eine kurze Zeit alleiniger Herrscher der Hunnen.

Der Austausch von Geiseln als Unterpfand für einen geschlossenen Frieden war im römischen Reich gängige Praxis. Es waren meist die Söhne von Stammesführern oder des Adels, die dieses Schicksal ereilte. Der römische Feldherr (magister militum) Äetius, der eine zeitlang Geisel der Hunnen war, verstand dieses asiatische Volk gut. Durch römisches Gold brachte er einen Trupp dazu, in Gallien einen Sklavenaufstand niederzuwerfen. Die Hunnen galten als besonders grausam, da sie jeden, ohne Ansehen der Person, Männer, Frauen, Kinder und Alte töteten.

Wahrscheinlich rührt daher Atillas späterer Name die „Geißel Gottes“. Nach der Niederschlagung des Aufstandes ließ Äetius durch die Hunnen Krieg gegen die Burgunder führen. Äetius glaubte, mit der „Medizin der Hunnen" Herr über die "germanische Krankheit“ zu werden und so alle Stämme beherrschen zu können. Jedoch veranlasste Atilla im Jahre 451 einen Vorstoß nach Westen und trieb alles in Gallien vor sich her. Äetius und seinen Römer blieb nichts anderes übrig, als sich mit den germanischen Stämmen zu verbünden.

Der Hunnenkönig Attila wurde auf den Katalaunischen Feldern (die bis heute nicht genau lokalisiert werden können) gestellt, aber nicht vernichtend geschlagen. Der westgotische Historiker Jordanes (500 – 555) sagte dazu, die Schlacht sei wie die "Tenne zahlloser Rassen und Völker". Auf der einen Seite kämpften die Hunnen mit den von ihnen unterworfenen Ostgoten und auf Seiten der Römer die Westgoten, Franken, Burgunder, Sachsen und Kelten. Der ungeheuerliche Kampf soll nach Schätzungen Jordanes 165.000 Menschenleben gekostet haben.

Nach einem Rückzugsgeplänkel in Oberitalien konnte Äetius Atilla und seine Hunnen bis zum Rhein zurückdrängen. Von dort zogen sie sich zurück bis an die Theiß in Ungarn, ihrem Kerngebiet. Fortan wurde von keinen neuen Eroberungsversuchen berichtet.

Es wird vermutet, dass die Hunnen die Pocken mit nach Europa brachten. Jedenfalls war das Reiterheer so geschwächt, dass von ihm keine Gefahr mehr ausging. Für das Mittelalter waren sie die roten apokalyptischen Reiter, die Teufel, die den Krieg brachten. In den Augen der Menschen war es die Gnade Gottes, die sie vor Schlimmeren bewahrte.

Atilla starb 453 in seiner Hochzeitsnacht mit einer Gotin. Er erlitt einen Blutsturz. Nach seinem Tod herrschte Uneinigkeit unter seinen drei Söhnen Ellac, Ernak, Dengizich und das Hunnenreich zerfiel.

© Thalassa von Kerygma


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