Im heutigen sechsten Teil der Drachenreihe gehen wir auf Entdeckungsreise. Mit dem Ziel neuen Landes und einer neuen Drachenform!
So versichert euch eures Proviants, eures Glaubens und vor allem eures Mutes. Denn wer abfällt, wird zurückgelassen!
Wir befinden uns in der Mitte des 14.Jahrhunderts. In Amerika.
Die "neue" Welt ist unentdeckt, somit noch wohlauf, intakt und gänzlich im Einklang mit sich selbst. Zahlreiche Indianerstämme bevölkern den riesigen Kontinent, deren Mythologie unzählige Wasserschlangendrachen hervorbringt. Diese Drachen tragen in der Sprache der Einheimischen Namen wie Wasserbison, Wasserpanther, Wasserpuma, Wassergrizzly, große Wasserschlange, gehörnte Schlange, Riesenblutegel und und und. Es läßt sich anhand der Namen erahnen in welcher Umgebung diese jeweils auftraten.
Weise Schamanen der jeweiligen Indianerstämme verwandelten sich bei Zeiten selbst in diese Wesen. Dabei blieben Begegnungen verwandelter Schamanen nicht aus.
Der Boyden-Lake, Washington County, im Staate Maine.
Medshelemet, Schamane vom Stamme der Passamaquoddy (Pestemohkatíyek = die vom Ort, wo es viele Schellfische gibt), trifft unter der Wasseroberfläche des Sees auf einen anderen Schamanen. Dieser hatte ihn zu einem traditionellen magischen Duell herausgefordert, woraufhin die beiden Schamanen sich jeweils in ein von ihnen auserwähltes Wesen verwandelten.
Medshelemet nahm die Gestalt einer großen schneckenartigen Kreatur an, bekannt als Weewilmekq oder Riesenblutegel. Der schleimig triefende Körper war baumstammdick, mit roten Karos verziert und endete in einem Drachen-typischen pfeilförmigen Schwanz. Den abgeflachten Kopf zierten ein Paar rückwärtig gebogener Hörner, sowie ein gewaltiges Saugorgan mit einem mehrreihig gezackten Rand. Damit vermochte er Haut und Knochen seines Gegners zu durchtrennen und anschließend dessen Gewebe und Flüssigkeiten auszusaugen.
Bis lediglich eine leere, ausgetrocknete Schale oder Hülle von diesem übrigblieb. Darauf reagierend verwandelte sich der Rivale in die zwölf Meter lange Wasserschlange Kitchi-at´husis. Sie hatte einen schuppenbewehrten Körper, aus ihrem Schädel trieb ein riesiges Geweih und ihr Maul war mit giftigen Fangzähnen gespickt.
Die beiden ebenbürtigen Kreaturen umkreisten einander lange Zeit, da niemand es wagte den Kampf zu beginnen.
Doch dann, binnen eines Augenaufschlags, warfen sie sich aufeinander, schnappten, würgten, kämpften, während das Wasser in einem zornigen Strudel um sie wirbelte. Weewilmekq zielte auf den Hals Kitchi-at´husis´. Dort festgesaugt wäre er vor den Fangzähnen der Schlange sicher und sein tödliches Saugorgan könnte in Ruhe das Vampir-ähnliche Werk beginnen.
Kitchi-at´husis reagierte rasch als er den Angriff erkannte, aber vergebens. Der Weewilmekq war flinker, verankerte sich am fleischigen Nacken der Riesenschlange. Unverzüglich begann dessen Saugorgan riesige Fleischstücke abzutrennen. Kitchi-at´husis schrie und wandte sich vor Schmerzen wild hin und her. Alle Versuche, seinerseits auch nur einen einzigen der giftigen Fangzähne in Stellung zu bringen oder wenigstens den parasitären Gegner abzuschütteln, schlugen fehl.
Das Blut der Riesenschlange rann dahin, vermischte sich mit dem Wasser des Sees und sie fühlte wie ihre Kräfte schwinden. Ein krampfhafter Schauder durchzuckte ihren Körper. Ihre Windungen wurden bizarr und hörten abrupt auf. Einen stechenden Schmerz durchfuhr ihren Leib. Das war das Ende ihrer Agonie. Schlaff sank der ehemals monströse Körper auf den Grund des Sees hinab. Der Weewilmekq hatte sich zwischenzeitlich wieder in Medshelemet verwandelt. Triumphierend hob dieser den besiegten Rivalen, welcher seine Schlangengestalt auch im Tode beibehielt, in die Höhe. Frenetischer Jubel brandete am Ufer unter den Angehörigen seines Stammes auf.
Dies ist nicht die einzige Legende von Blutegeldrachen unter den nordamerikanischen Ureinwohnerstämmen. Ein anderer, groß wie ein Haus, mit weißen Streifen kreuz und quer über den karminroten Körper laufend, besuchte häufig den Zusammenfluss des Valley-Flusses mit dem Hiwassee (Ayuhwasi, Cherokee für Wiese oder Feuchtsavanne) in North Carolina. Dieses Wasserversteck des Drachen nannten die einheimischen Cherokee "Tlanusi´yi", Ort des Blutegels.
Bewegungen des riesigen Egeldrachens hatten eine solche Gewalt, daß das Wasser zu kochendem Schaum aufgewühlt wurde. Wer diesem Schauspiel zu nahe kam, wurde binnen Sekunden von einem Strahl ekelhafter erbrochener Flüssigkeit des Blutegeldrachens getroffen und sank dann
auf nimmer Wiedersehen in den übelriechenden Schlamm des Flußbettes hinab. Gelegentlich auftauchenden Leichen fehlten stets Nasen und Ohren.
Ein neuer Tag begann. Die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne und das nicht gerade melodische Gekrähe unseres Hahns weckten die ersten Bewohner
meines Haushaltes. Scheppernde Milchkannen und der Duft nach frisch gebackenen Brot ließen mich auch einige Zeit später aus den dicken Daunenkissen
krabbeln und den neuen Tag beginnen.
Als ich gerade die Tür zur Stube öffnen wollte, wurde diese von innen aufgerissen und Ansgar, Sohn von Gernot von Falkenberg rannte mich fast über den Haufen. Ohne eine Entschuldigung verkündete er: " Keine Zeit, muss mein Bündel schnüren". Er rannte davon und ließ mich, etwas zerzaust und verdutzt vor der Türe stehen. Von drinnen hörte ich das Gemurmel zweier Männerstimmen und lugte, nun vorsichtig geworden erst einmal um die Ecke.
Marco Polo und Gernot von Falkenstein saßen in ein intensives Gespräch vertieft beim Frühstück, erhoben sich jedoch beide, als ich den Raum betrat. Auf meine verwunderte Frage: "was denn in Ansgar gefahren sei und welche Schandtaten hier ausgebrütet würden", lächelten sie sich verständnisvoll an und Marco Polo überreichte mir ein kleines Päckchen mit den Worten "Ihr Einverständnis vorausgesetzt, nehme ich den Jungen mit auf eine Reise. Denn ich
habe euch einen Vorschlag zu machen, der Euch und Eurem Dorfe zu Wohlstand und Ansehen verhelfen wird. Aber erst einmal öffnet Euer Geschenk, welches ich Euch als Dank für Eure großzügig gewährte Gastfreundschaft überreiche."
Neugierig wickelte ich die Fäden, welche das Papier zusammen hielten ab, und öffnete die Verpackung behutsam. Mit großen Augen betrachtete ich ein Stück Stoff von etwa eineinhalb auf eineinhalb Ellen Größe. Noch nie in meinem Leben hatte ich etwas so wunderschönes gesehen. Trotz seiner Größe war es federleicht, und die Farben funkelten und leuchteten wie ein Tautropfen im Sonnenlicht. Ob meines fragenden Blickes, hob Marco Polo an: "Das, was ihr da
in Händen haltet wird Sida, Side oder auch Seyde genannt. Dieser Stoff ist so kostbar, dass er fast von gekrönten Häuptern und sehr hohen Herren getragen wird. Seine unvergleichlichen Eigenschaften - leicht wie der Hauch des Windes, kühlend im Sommer und wärmend im Winter - machen ihn so wertvoll, dass die Raupe, die dieses feine Gespinst produziert, in Gold aufgewogen würde."
Er erzählte weiter, dass mongolische Reiterkrieger einen Panzer aus vielen Lagen versteppter Seide trügen und in dem Ruf ständen durch Pfeile unverwundbar zu sein. Als erster Berater des Mongolenherrschers Kubilai Khan habe er viele Länder bereist, darunter auch jenes ferne Land, genannt China, aus dem der wohl wertvollste Stoff der Welt käme. Ursprünglich sei der Stoff ausschließlich auf dem Seewege von China über Ceylon, Sokotra, Berenike nach Alexandria
und von dort aus ins römische Reich gekommen. Erst seid dem 2. Jahrhundert wäre auch ein Landweg bekannt über den diese kostbare Ware transportiert würde, die sogenannte Seidenstraße. Während beim Seehandel griechische Händler eine große Rolle spielten, dominierten jüdische, armenische und syrische Zwischenhändler den Handel über den Landweg und begründeten so den Reichtum dieser Länder.
Sein Vorschlag sei nun, dass Ansgar mit ihm auf Reise ginge und er dem Jungen bei seiner Ausbildung behilflich sei und er ihn überall einführe, so dass wir in ein paar Jahren in den Seidenhandel einsteigen und unsere Gemeinde durch diesen Handel ihren Reichtum begründen könne. Er fügte noch hinzu, dass Gernot von Falkenberg, zwar schweren Herzens, aber zu unserer aller Wohle, bereit sei, seinen 17-jährigen Sohn mit ihm ziehen zu lassen."
Was sollte ich da noch entgegnen. Der Vater hatte bereits seinen Segen erteilt, der sonst so stille Bursche sprudelte wie eine Wiese voller junger Frösche im Morgentau und war voller Vorfreude, und sollte ich irgendwelche Bedenken vorbringen, würden fast alle mir vorhalten, ich habe das Wohl meines Dorfes aus den Augen verloren. Bangen Herzens stimmte ich also auch zu, gab Anweisung das beste Pferd aus unserem Stall für Ansgar zu satteln und eilte um ihm zehn kleinere Goldmünzen aus unserer Schatztruhe mit auf den Weg zu geben.
An einem warmen Frühlingstag traf Julia mitten auf einer Wiese einen Schneemann. Zuerst konnte sie es nicht glauben. Sie ging ein paar Mal um ihn herum und berührte ihn. Doch er war wirklich hart und geforen ohne eine weiche Stelle.
Julia murmelte leise: „Das gibt es doch nicht.“ Sie war höchst erstaunt, als der Schneemann bissig antwortete: „Was soll es hier nicht geben? Scher dich weg!“. Julia liess sich davon nicht beeindrucken und fragte: „Warum bist du nicht längst geschmolzen, hier bei dieser Wärme?“ Der Schneemann sah sie böse an und knurrte: „Sehr einfach, du dummes Gör, ich habe ein eisiges Herz und bin durch und durch böse und nun pack dich endlich!“
Julia sah ihn lange an und je länger sie ihn ansah, umso mehr tat er ihr leid. Sie bekam solches Mitleid mit ihm, dass sie zu weinen anfing. „Was tust du hier? Du schmilzt ja!“, rief der Schneemann. „Du tust mir sehr leid“, antwortete sie. „ Du selbst kennst ja keine Freude und kannst dein Leben gar nicht geniessen. Und so kannst du auch nichts Gutes tun“, schluchzte sie und „schmolz“ noch mehr.
Da wurde dem Schneemann ganz wunderlich und auf einmal klirrte und krachte es und sein eisiges Herz begann zu zerspringen. Da geschah etwas Seltsames: grosse Tropfen rannen an ihm herunter. Er begann zu schmelzen. Julia blickte zu ihm hoch. „Du taust ja!“ wunderte sie sich und hörte auf zu weinen. Der Schneemann jammerte: „Nun muss ich sterben!“ Julia aber antwortete: „Nein, du wirst zu Wasser und alle Blumen tränken. So wirst du Gutes tun und endlich Freude empfinden.“
Kurze Zeit später war von dem Schneemann nichts mehr zu sehen und an seiner Stelle entsprang eine Quelle, aus der sich ein Bächlein ergoss und den leicht geneigten Hang abwärts floss. Dieses Bächlein tränkte viele, viele Blumen. Julia war sehr glücklich. Und die Quelle raunte: „Ich danke dir.“