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Das ist die letzte Chance, noch Geschenke zu besorgen, auch wenn es in der Innenstadt so zugehen wird wie auf dem Rummelplatz. Oder schlimmer. Da musst du durch, aber unbedingt in Begleitung, um anschließend bei Glögg und Glühwein dem Stress zu trotzen.
Eure Tagblatt-Redaktion
Freudenfest
Hart klatschte ihm der Wind dicke Regentropfen ins Gesicht.
Sein Weihnachtsmannkostüm war schon am Mittag völlig durchnässt gewesen. Jetzt hing das Kissen, mit dem er den Bauch ausgestopft hatte, schwer und nass in der weiten Hose. Nur noch der schwarze Gürtel hielt alles zusammen und von dem blätterte mit jedem Regentropfen ein wenig mehr des schwarzglänzenden Lackes ab. In seinen Stiefeln sammelte sich das Wasser und bei jedem Schritt quietschten die Sohlen.
Kaum einer war noch unterwegs, zwischen den ganzen Wurstbuden, Duftkerzenständen und Glühweinbars. Schon den ganzen Tag waren kaum Besucher zum Weihnachtsmarkt gekommen. Dafür war in den Kneipen und Wirtshäusern in der Umgebung Hochbetrieb.
Das Geschäft war heute schlecht gelaufen und eigentlich hatte Lars gehofft, am Abend hätte er mehr Erfolg, aber das Wetter machte ihm einen gehörigen Strich durch die Rechnung. Die große Glocke die zu seinem Kostüm gehörte hatte er an irgendeiner Glühweintheke liegen gelassen, als er sich die halb erfrorenen Finger an einem heißen Becher Glühwein gewärmt hatte.
Morgen war schon der Heilige Abend und bis jetzt hatte er noch immer keine guten Einnahmen gemacht. Entweder hatte es zur besten Zeit des Tages geregnet, das Sicherheitspersonal war zu wachsam oder die Menschen waren einfach zu vorsichtig gewesen. Zu Hause warteten zwei kleine Kinder darauf, dass ihr Vater mit vollen Händen zurück käme, seine Frau wollte ein üppiges Weihnachtsgeschenk. Er konnte es ihnen nicht bieten.
Vielleicht in einer der vielen Kneipen, überlegte er sich und dachte gleichzeitig daran, dass er dort auch noch etwas trinken könne, wenn sich schon kein Geschäft machen ließ. Die warme, trockene Luft schlug ihm wie ein Messer ins Gesicht, als er die Tür zu einer kleinen, eher abgelegenen Kneipe aufstieß. Der düstere Raum war von einem lauten Stimmengewirr gefüllt und Zigarettenqualm sammelte sich an der Decke. Am liebsten hätte Lars sofort wieder umgedreht. Doch nun war er schon einmal hier, dann konnte er genauso gut auch sein Glück versuchen.
Er kämpfte sich bis zur Theke vor und sah sich um. Alle Tische waren besetzt und in den Ecken waren notdürftig noch einige Stehtische errichtet worden, die ebenfalls alle bevölkert waren. Lars rückte noch einmal seinen nassen Weihnachtsmannbart zurrecht, auf keinen Fall wollte er erkannt werden. An der Bar waren noch einige wenige Hocker frei und Lars ließ sich erschöpft nieder.
Rechts und links von ihm hingen verschiedene Typen herum, alle schon leicht angetrunken. Der eine drehte sich sofort zu ihm hin und begann unaufgefordert ihm seine Lebensgeschichte zu erzählen. Geduldig wartete Lars ab, doch bei dem gab es nicht viel zu holen, es war ein Arbeitsloser, der das wenige Geld das er noch hatte lieber in Schnaps und Bier investierte als in sinnvollere Objekte.
Trotzdem rückte Lars ein Stückchen näher an ihn heran, redete unablässig auf ihn ein und tastete gleichzeitig nach der Jackentasche seines Opfers, ohne dass es überhaupt jemandem auffiel. Na bitte, ein, nein zwei Scheine konnte er finden und ließ sie vollkommen unauffällig in seinen großen Kostümtaschen verschwinden. Er würde erst später das Ausmaß seiner Beute begutachten, doch wirklich viel würde es sicherlich nicht sein, da machte er sich keine Hoffnungen.
Je später es wurde, desto leerer wurde auch die Kneipe. Lars konnte beobachten, wie die Gäste, in seinen Augen, kleine Vermögen zurückließen, ehe sie durch die dunkle Tür hinaus in die Kälte verschwanden. Sicher war die Kasse des kleinen Kellners wohlgefüllt. Sollte er ... ? Noch nicht. Erst mussten alle anderen verschwunden sein.
Endlich war nur noch ein einziger mit ihm und dem Kellner in der Kneipe, sicher war es schon weit nach Mitternacht. Lars gesellte sich zu ihm. Der Arme war sturzbesoffen und wäre von seinem Hocker gefallen, wenn nicht Lars noch im letzten Moment nach ihm gegriffen hätte. Er nuschelte etwas gänzlich Unverständliches, woraufhin Lars ihn zu einem weiteren Drink einlud. Missmutig brachte der Kellner die Gläser und man merkte ihm an, dass auch er schon mehrere Gläser getrunken hatte. Lars hatte ein leichtes Spiel. Einige Scheinchen wechselten den Besitzer, bevor der Betrunkene endgültig von seinem Schemel kippte und am Boden liegen blieb.
Jetzt nur noch den Kellner, dachte sich Lars. Er wusste, dass die Küche schon vor mehreren Stunden geschlossen hatte, also ging er davon aus, dass ihm lediglich der Kellner noch im Weg stand. Der drehte ihm gerade den Rücken zu und versuchte ein Glas mit einem schmutzigen Lumpen sauber zu wischen. Zwei Handgriffe, der Schlag hatte gesessen. Mit dumpfem Poltern stürzte der Kellner zu Boden. Klirrend zerschellte das Glas. Alarmiert blickte Lars sich um.
Stille.
Die Kasse war nicht verschlossen. Leise glitt sie auf und Lars konnte den Inhalt in seine weiten Taschen packen. Dann stieg er über die zwei Bewusstlosen am Boden hinweg und war flugs zur Tür hinaus.
Da traf ihn ein harter Schlag am Hinterkopf, er strauchelte und fiel. Brüske Hände packten ihn und warfen ihn auf die Ladefläche eines Lastwagens. Es wurde dunkel um Lars. Das letzte was er vernahm, bevor er ohnmächtig wurde, waren aufheulende Motoren und ein kräftiger Ruck.
Weihnachten würde er wohl nicht zu Hause verbringen.
© Ponydorf