15.
Tantchen Hanni war wieder die Erste?
So schaffst auch du es noch vor Silvester:
Huete noch Pakete schnüren und klingende Grüße zu Papier bringen, morgen eine halbe Stunde am Postschalter Schlange stehen - es ist vollbracht. Die Weihnachtspost ist auf dem Weg. Rechtzeitig!
Eure Tagblatt-Redaktion
Liana-
ein Schicksal ohne Hoffnung ?
Müde schritt Liana durch die Gassen Londons. Sie hatte nur einen Umhang um ihre Schultern, und ihr altes, verschlissenes Kleid am Leibe. Ihre Hände und Füße eingefroren, die Füße nackt, sodass sie den kalten, unbarmherzigen Schnee unter ihren Füßen bei jedem Schritt schmatzen hörte.
Es war im Jahre 1890 nach Christus und wie jedes Jahr herrschte ein eisiger Winter. Jeder vernünftige Mensch war an diesen Tagen zuhause und saß bei einem gemütlichen Feuer. Der Kirchturm schlug zur neunten Stunde und erste Lichter erloschen in den Wohnungen Londons. Die Sterne funkelten wild am Himmel. Liana sah nach oben, seufzte leise. Es muss bald Weihnachten sein, dachte sie, denn überall duftete es nach Lebkuchen, erste Tannenbäume wurden von eifrigen Familienvätern in die Häuser getragen, und die Kinder hatten schon Winterferien.
Jeden Tag sah Liana sie Schneemänner bauen und mit ihren Schlitten wie wild die mit schneebedeckten Hügeln hinuntersausen. Und jeden Tag wurde ihr Herz schwerer bei dem Anblick ihrer lachenden Gesichter. Ihr größter Wunsch war, auch einmal so unbeschwert lachen zu können. Und so schwärmte sie in ihren Tränen. Liana war selber erst 14 Jahre alt. In ihren Gedanken vergaß sie, dass sie noch immer in einer Gasse stand und die Sterne ansah. In die Realität zurückgerissen sah sie sich um.
Es war dunkel, einsam, verlassen und kein Kind war hier draussen. Langsam schlurfte sie weiter, es wurde immer später und ihre Augen schlossen sich immer mehr. Bald schon merkte Liana, dass ihre Müdigkeit zu stark war, deshalb machte sie sich auf die Suche nach einem Schlafplatz. In einem Park legte sie sich auf eine Bank und schlief trotz blauer Lippen und klappernden Zähnen schon nach einiger Zeit ein.
Die Nacht war nur kurz, denn schon früh am morgen wurde sie von den Geräuschen der Stadt geweckt. Sie stand auf, jeder Knochen schmerzte ihr und ihre Zehen waren noch immer blau und eingefroren, Sie hatte weder Gefühl in den Händen noch in den Füßen. Ohne weiter über ihr Leid nachzudenken, erhob sie sich und ging bis auf den Markt. Auch dort herrschte schon reges Treiben. Erste Stände wurden aufgebaut, heute musste Weihnachtsmarkt sein.
Das hieß für Liana, dass die Leute besonders spendabel waren. Liana dachte positiv, kaufte sich von ihren letzten Talern einen Becher Kaffee und trank diesen auf den Stufen der Westminster Abbey Kathedrale. Nachdem der Becher leer war, blieb sie sitzen.
Der Marktplatz füllte sich, viele Menschen zogen an ihr vorüber. Und hin und wieder kam eine gute Seele und gab ihr einige Münzen. „Danke“ meinte Liana jedes Mal freundlich und so verging ihr Tag. Gegen Abend, als der Glühwein ausgeschenkt wurde, hatte Liana so viel Geld, dass auch sie sich ein Glas Glühwein und ein Brezel gönnte.
Es schmeckte wunderbar, und nach dem Wein spürte sie ihre Hände wieder. In ihrem Körper machte sich eine wohlige Wärme breit. Guter Hoffnung ging sie spät am Abend, als sich der Marktplatz leerte durch die Gassen. Es war zwar kalt, jedoch noch auszuhalten.
Und so ging sie bis es zwölf Schlug umher, träumte von einem besseren Leben und einer hoffnungsvollen Zukunft. Doch sie wusste auch, dass dies nur ein Traum bleiben würde. Bei ihrer Träumerei merkte sie nicht, dass sie am Himmel dunkle Wolken zusammenzogen, dass lautlos Blitze umherzuckten. Plötzlich spürte sie erste Tropfen auf ihrem Gesicht, sah sich um, merkte, dass es gleich einen heftigen Regen geben würde. Doch ehe sie sich versah, prasselten auch schon wie wild die Regentropfen auf ihren Körper. Liana begann zu rennen, suchte Unterschlupf, doch nichts konnte gegen den Regen schützen.
Sie spürte die Feuchtigkeit bereits auf der Haut, die Tropfen rannen an ihrer Nasenspitze herunter. Sie wusste, dass sie Unterschlupf bei in einem Keller oder Stall brauchte. Doch schon fast jedes Licht in London war bereits erloschen. Ihre Hoffnung schwand immer mehr. Orientierungslos irrte sie durch den Regen, quer durch die Gassen Londons. Nach einer Ewigkeit, so erschien es ihr, sah sie ein Haus, in dem noch Licht brannte.
Sie wusste nicht wer dort wohnte doch sie hoffte auf Barmherzigkeit. Schnell lief sie die Stufen hinauf, es war ein recht ansehnliches Haus. Liana wusste, dass in so einem Haus nur geizige Leute leben würden, blieb zögernd stehen. Nein, die Leute hier würden sie nicht aufnehmen, gewiss nicht.
Und so drehte sie um, lief langsam die Stufen wieder herunter, wusste, dass ihre Hoffnung dem eisigen Regen zu entkommen nun dahin war. „Hey- Mädchen- bleib mal stehen“ hörte Liana hinter sich. Sie drehte sich um. In dem Türrahmen des Hauses stand eine ältere Dame, sah sie aus tiefblauen Augen an. Liana stand da wie eingefroren, hielt dem Blick der Dame stand. „Nun komm schon herein, du bist ja ganz erfroren“ meinte die liebenswürdige Dame und winkte Liana hinein.
Liana fühlte sich wie in einem Traum, ihrem Traum. Schritt vor Schritt ging sie wieder die Treppen hinauf bis in das Haus, trat ein. Die Fremde schloss hinter ihr die Tür. Liana sah sich um. Es war ein großer Flur, mit allerlei Schränkchen und einem großen Spiegel. Liana staunte. ,,Komm, zieh deine nassen Kleider aus, ich hole dir etwas anderes- vielleicht passt dir ein Kleid meiner Tochter- wie alt bist du und wie ist dein Name“ fragte die alte Dame, während sie Liana ein Handtuch in die Hand drückte.
Liana rubbelte ihre braunen, langen Locken trocken. „Ich heiße Liana- ich bin-“, Liana zählte an ihren Händen ab. „Vierzehn Jahre alt- glaube ich“ meinte sie. Die Frau nickte. „Ich heiße Minella, nenn mich ruhig Mini“, sie zwinkerte, trippelte schnell nach oben und kam mit einem Haufen Anziehsachen wieder.
Liana zog sich um, das ältere aber wunderschöne hellblaue Kleid passte ihr wie angegossen. Liana war überglücklich, fühlte sich wie eine Prinzessin. „Behalt es wenn es dir gefällt“ meinte Mini als sie Liana´s strahlenden Augen sah. „Oh Danke“ Liana lächelte. Bei einer Tasse Tee wärmte Liana sich auf. Sie und Mini unterhielten sich lange. Liana erzählte ihre Geschichte und Mini erzählte von ihrer Tochter, diese war gestorben schon vor langer Zeit.
Es war auf Weihnachten gewesen. „ ... Und weißt du, was ich mir an diesem Tag geschworen habe?“ Liana schüttelte den Kopf, nippte am Tee.
„Ich habe mir geschworen, dass ich jedem der auf Heiligabend meine Hilfe braucht, auch meine Hilfe schenke“, Mini lächelte. „Nun bist du hier - ich fände es toll, wenn du bei mir leben würdest - natürlich nur wenn du willst“ Liana war wie in einem Traum, jedoch nickte sie sofort. „Natürlich will ich, danke“ Sie umarmte Mini stürmisch. Und auch Mini war glücklich.
Das war das beste Weihnachtsfest was die einsamen Herzen der beiden je hatten. In den Jahren darauf lebten sie zusammen, Liana lernte lesen und schreiben, und beide erlangten ihren verlorenen Lebensmut wieder. Sie sind wie Mutter und Tochter- lieben sich über alles.
Doch beide kennen ihre Vergangenheit und werden diese niemals vergessen. Doch nun haben sie ein Leben, wie es sich beide gewünscht haben; Glücklich, Gemeinsam und voller Liebe. Und jedes Jahr, wenn wieder der Schnee fällt und der Heiligabend hereinbricht, sitzen beide im Wohnzimmer, trinken Tee und feiern gemütlich das Fest der Liebe-
Ihr Fest.
© Lillians Fürstentum