Ausgabe 10 | Seite 2 8. Juli 2007 AD
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Historien aus Wulferisbuttle
5. Das Ende der Welt Teil 3

Ad Tertium: Ordnende Kräfte und Warten auf das Ende

Der Büttel eilt von hinnen, während der Bürgermeister drei Neuankömmlinge begrüßt. Würdig und ruhig steht der Abt des nahe gelegenen Klosters vor ihm, ein hagerer und besonnener Mann. Neben ihm steht die Äbtissin des Frauenklosters. Die kleingewachsene Frau schaut ihn mit großen Augen an. Nervös nesteln ihre Hände an ihrem Kreuz. Der Abt legt ihr seine hagere Hand auf die Schulter: „Nur immer ruhig, meine Schwester! Wir alle sind in Gottes Hand! Lasset uns das weitere Vorgehen besprechen!“ Der Stadtpfarrer, ein groß gewachsener Mann mit einem rötlich leuchtenden Gesicht, nickt: „Ja lasset uns das Beste für all diese gläubigen Menschen machen.“ Er deutet auf das geschlossene Fenster zum Marktplatz hin, durch das noch immer dumpf der Singsang der Gebete tönt.

„Zu allererst ist Platz vonnöthen, der Marktplatz ist einfach zu eng. Auch eure Kirche ist schon völligst überfüllt! Auf die Wiese am Wald kommt ein großes Kreuz, wir geleiten die Menschen mit einer Prozession hinaus und machen dort eine Vigil bis Johannes! Die Betenden müssen versorgt werden. Ehrwürdige Mutter, bitte kümmert euch mit euren Schwestern darum! Kochet kräftige Suppen in großen Kesseln, verteilt Wasser an die Durstigen!“ Er wendet sich an den Abt. „Kümmert euch mit euren Brüdern um die Kranken und Geschwächten! Holet sie aus der Menge, bettet sie abseits, pfleget und tröstet sie!“ „Und ihr Herr Pfarrer habt die schwierige Aufgabe, die Bürger zum Prozessionsplatz zu geleiten!“

Der Abend …

Die Dunkelheit senkt sich langsam über das mit den betenden Menschen gefüllte Feld. Zwischen den Reihen der Knienden huschen die Mönche und Schwestern, verteilen hier einen Schluck Wasser, sprechen dort einige Worte des Trostes. Einige erschöpfte Bürger werden behutsam an den Rand der Wiese geleitet. Auf ausgebreiteten Matten wird ihnen Gelegenheit geboten, Kraft zu sammeln. Der Pfarrer hat sich etwas abseits gesetzt und nimmt Beichten ab.

Mittlerweile ist es kurz vor Mitternacht, ein heller bleicher Mond erleuchtet die betende Gemeinde. Ein leichter Wind bläst über das Feld. Nervös blicken die Menschen nach oben. Ein Aufschrei geht durch die Masse, als sich einige Wolken vor die volle Scheibe des Mondes schieben und kurzzeitig sein fahles Licht verdecken. Angstvoll pressen sich die Gläubigen auf den klammen Grasboden und erwarten das Schlimmste. Ein Seufzer der Erleichterung steigt nach oben, als der Wind die Wolken weitertreibt und das Mondlicht wieder scheint. So geht es Stunde um Stunde: Verängstigt wird auf jedes Zeichen reagiert, sei es der Schrei eines Nachtjägers oder das Knarren eines der uralten Bäume, deren Kronen sich leicht im Wind bewegen.

Der Morgen …

Die ersten Sonnenstrahlen kommen über den Horizont und vertreiben das Dunkel. Dumpf klingen die Glocken der Stadtkirche und verkünden den Beginn der 5. Stunde des Johannestages. Unsicher schauen die Bürger nach oben. Sollte es sein? Hat Gott in seiner Gnade den Untergang abgewendet? Langsam erheben sich unsicher die Ersten und schauen sich an. Ein lautes „Gloria In Excelsis Deo“ klingt über das Feld. Einzelne schüchterne Jubel- und Dankesschreie ertönen, bis alle Anwesenden freudig einstimmen. Erleichtert kehren alle in die Stadt zurück. Schon am nächsten Tag geht alles wieder seinen gewohnten Gang. Bis zum nächsten Weltuntergang ...



© Max Hohenstein, Chronist von Wulferisbuttle




Baerenangriff

habet die kundt ihr schon gehoeret?

baerenangriff bey bannockburn. eynem holtzfaeller begegnete auff dem heymwege nach bannockburn eyn gewaltiger baer. in seyner angst schlug er sogleych mit seyner grossen axt nach dem thiere, welches jedoch behende auswich. worauff hin sich das blatt der axt mit ungebremstem schwunge tief in seyn eygen fuss senckte.
gross war nun aber das erstaunen des ungluecklichen, als er aus der ohnmacht erwachte - und ueber sich gebeuget eynen baeren mith eynem menschenkopff sah!
eyn paar kumpane aus der taverne hatten sich eynen spass mit ihm machen wollen und ihm eynen als baeren verkleydeten gaukler in den waldt gesandt.
nun wird der hohe richter von bannockburn seynen spass mit ihnen haben.
wolff von wolffenzahn
reysender barde und medicus

© Mike McThunderwolf




Zofe Adelgunde berichtet

Manchmal frage ich mich, wie meine Herrin das alles erträgt. Nun war sie schon wieder bei der Patrizierstochter, die den Mann mit den Warzen auf dem Körper heiraten wird. Ganz plötzlich. Irgendwie scheint sie ja vor Kummer viel zu essen, sie wird langsam dicker.

Meine Herrin schwatzt ihr gerade die Gewänder auf, die mit der Seide aus der neuen Karawanserei hergestellt werden. Dafür hat sie Talent. Leider auch für andere Sachen. Die Wasserknappheit hat sie schnell in den Griff bekommen, die Knechte laufen nicht mehr schwitzend über den Hof und bringen die Eimer her. Das war ein netter Anblick, der ist jetzt weg.

Aber dafür ist es eine Wonne, den Fischer zuzusehen, wie sie nach Perlen tauchen. Das ist zur Zeit deren wichtigste Aufgabe und sie sind eifrig dabei. Mal sehen, was meine Herrin damit anstellen wird. Nicht, dass ich ihr bald Perlenketten um den stolzen Hals werde legen müssen. Obwohl sie einen schönen Schimmer haben sollen. Sowas habe ich noch nie gesehen und die Fischer halten sie unter Verschluss. Niemand darf sie sich anschauen, außer der Herrin natürlich. Sie werden gleich in die Goldschmiede gebracht, aber die arbeitet nur für wenige Stunden. Wohl nicht genügend Perlen da, so heißt es. Irgendwas stimmt da schon wieder nicht. Ich sollte mal in den nächsten Tagen vorbei gehen. Eure Adelgunde

© Ellisa von Mayenfells





Jeder kann wütend werden, das ist einfach. Aber wütend auf den Richtigen zu sein, im richtigen Maß, zur richtigen Zeit, zum richtigen Zweck und auf die richtige Art, das ist schwer.

Aristoteles




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