Ausgabe 5 | Seite 3 3. Juni 2007 AD
<<< zurück weiter >>>


Historien aus Wulferisbuttle

Der fromme Mann ist außer sich. Mit hochrotem Kopf steht er wild gestikulierend vor dem Bürgermeister. "Bin ich gekommen auf Geheiss des Erzbischofes um zu schauen, wie es um das Seelenheil dieser Stadt bestellt ist! Doch wehe, muss ich feststellen, dass hier ein sündig Treiben wie einstens in Sodom und Gomorrah herrscht!" Er bekreuzigt sich über seiner Kutte. "Auf dem Weg zu euch habe ich in einer Seitengasse ein gar sündig Haus gesehen, voll schamloser Weiber." Mit der einen Hand hebt er sein goldenes Kreuz an, während die andere erneut das Kreuzzeichen macht. "Diese Ausgeburten des Teufels, diese Nattern! Sah ich doch junge Handwerksburschen und fahrende Kaufleute die am hellen Tage in dieses gottlose Haus gelockt wurden! Im Namen des Bischofs muss dieses Treiben ein Ende haben! Wird doch sicher manch Mann oder gar noch unwissend Bursch zum sündig Beywohnen verführet. Soll der Stadtknecht auf dem Marktplatze diesen verdorbenen Weibsstücken zur Schande und zur Abschreckung den sündigen Leib tüchtig mit Ruten dreschen, dass ihnen der Teufelstrieb vergehe! Soll ihnen dort kein Schönheit oder lauthals Plärren von Nutzen seyn!"

"Dass ihr auf dem Wege zum Rathaus derarth vom Pfade abgekommen seid und euch in den Gassen verirrt habet, tut mir leid. Aber das Haus zu schliessen, wird nicht im Sinne unseres hochwohlgeborenen Bischofs sein. Gehört ihm doch das Land, wo diesselbes erbaut ist und bekommt er seinen Zins für die Nutzung des Hauses und des Grundes. Ist er doch besonders bemüht um das Seelenheil dieser Geschöpfe und kommt regelmäßig in unsere Stadt um dort nach dem Rechten zu schauen. Geht er doch sogar besonders gründlich vor, dass solch ein Besuch einige Stunden dauern mag, bis er das Haus wieder verlässt. Bisher konnte unser Herr Bischof nichts Unrechtes entdecken. Vielleicht solltet ihr ihn beim nächsten Mal begleiten, um euch selbst zu überzeugen!"

Der Geistliche macht ein bedenkliches Gesicht, als der Bürgermeister ihm behutsam den Standpunkt seines Bischofs darlegt. "Gut, mag sein, dass ich mich hier getäuschet habe. Unser Herr Erzbischof wird sicher in seiner christlichen Güthe seine ganze Aufmerksamkeit und Liebe diesen verirrten Mädchen widmen." Er wischt sich erschöpft mit dem Arm seiner Kutte über die Stirn um dann wieder aufzuspringen.





"Aber hinten auf der Wiese spielen mehrere Spielleute dem Volke zur Belustigung auf. In Scharen drängen sich die Burschen und Mägde auf diesem Platz! Und es wird ausgelassen und übermütig getanzt und gelacht! Die jungen Burschen haben die Mädchen in die Luft gewirbelt, dass die Röcke fliegen und diese gar umgeworfen! Dass gaffende Volke konnte so die sündigen Stellen der Mädchen auf das Genaueste sehen! Welch eine Verderbtheit! Sodom und Gomorrah!" Der Beauftragte des Bischofs hatte sich wieder in Rage geredet.

"Das ist nicht rechtens, ich werde gleich den Stadtbüttel für Ordnung sorgen lassen!" Mit einer kurzen Anweisung wird ein Ratsdiener geschickt, um den Büttel zu suchen. "Aber sagt, frommer Mann, ein Mann mit eurer christlichen Gesinnung sollte zu Höherem berufen sein. Unser Herzog wird demnächst wieder eine Abordnung zu den slawischen Heiden schicken. Er braucht dringend noch einen Diener der Kirche, der das Wort Gottes auch in diese Gebiete trägt. Wäre das nicht etwas für euch?"

Geschmeichelt blickt der Geistliche den Bürgermeister an. "Gewiss, gewiss. Schön dass ihr dabei an mich gedacht habt. Eine Herausforderung wäre es schon. Allerdings weiss ich nicht, ob der Herr Bischof auf meine Dienste verzichten mag. Auch hier in unseren Landen gibt es noch viel zu thun!"

"Für den Herrn Erzbischof werde ich gerne eine Empfehlung senden, dass eure Dienste als Missionar im Land der Slawen dringendlich von Nöthen sind. Den Herzog lasse ich sofort unterrichten, dass ihr diese Aufgabe wählt! Ich lasse euch dann durch einen Rathsdiener zum Stadttor geleiten, nicht dass ihr euch wieder in unseren vielen Strassen und Gassen verlaufet!"

Nachdem der Geistliche hinausgeleitet wurde, lässt der Bürgermeister die nötigen Schreiben erstellen und mit Kurieren zum Herzog und zum Bischof bringen. Der Stadtbüttel ist mittlerweile eingetroffen. "Herr, das Treiben auf der Wiese habe ich mit meinen Knechten beendet und die Spielleute mit einer Busse von einigen Thalern belegt. Kann hier doch nicht jeder ohne Erlaubnis und Anmeldung Musik machen und die braven Bürger vom Arbeithen abhalten!"

Der Bürgermeister hebt seinen Arm. "Recht so! Gönne ich den jungen Menschen zwar auch gerne ein Vergnügen, so dürfen wir aber die Bedenken der Kirche nicht übergehen! Und natürlich müssen wir das Seelenheil unserer Bürger bedenken! Unser Haus der gelüstigen Fräulein ist unserem geistlichen Besucher als Ort der Sünde aufgefallen. Er wollte es sogar schliessen lassen. Aber erfüllt es nicht auch seine Funktion in dieser Welt? Sollen unsere Reisenden oder die jungen Burschen an ihren gestauten Säften siech werden?" Nachdenklich kratzt sich der Bürgermeister am Kinn.

"Es steht zwar unter dem Schutz des Bischofs, aber sorget bitte trotzdem dafür, dass das Haus regelmässig kontrollieret werde! Nein: Übernehmet die Aufgabe höchstselbst! Es soll dort auch alles seine Ordnung haben, im weltlichen und im geistlichen Sinne!"

© Max Hohenstein, Chronist von Wulferisbuttle

<<< zurück Tagblattarchiv weiter >>>