Ausgabe 163 | Seite 1 8. August 2010 AD
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Seyd gegrüßt
werte Bürgerinnen und Bürger!

Einkaufen, das bedeutet einerseits zu Hause leerer Kühlschrank, andererseits draußen volle Straßen und Märkte. Auf der gewohnten Runde von Laden zu Laden ein mittlerweile ebenfalls gewohnter Anblick. Ein Straßenmusiker sitzt auf kleinem wackligem Klapphocker und trällert, mit einem Akkordeon bewaffnet, irgendwelches Liedgut. Grob um die 60, jede Menge Falten, ledrige Haut und eher von geringem Wuchs, gleicht er so vielen anderen, welche vermehrt die Fußgängerzonen und Einkaufspassagen bevölkern. Doch einen entscheidenden Unterschied gibt es: Obwohl von mir bislang weitestgehend ignoriert, hatte er stets ein Lächeln parat. An ganz guten Tagen, oder wenn ich besonders langsam vorüberschritt, auch nen Spruch.

Diesmal, ich kramte gerade gedankenverloren auf dem Weg zum Supermarkt nach 'nem Eurostück, hatte ihn bisher auch nicht vermisst, überraschte er mich an neuem, ungewohntem Standort. Erschrocken blickte ich auf, als er mir, obwohl noch einige Meter entfernt, ein "Guten Morgen, junger Mann!" zurief. Die Masche von wegen junge Frau usw. solle er sich für alte Damen aufheben, erwiederte ich und schritt feixend näher. "Ich geb dir dieses Eurostück, wenn du mir dafür 'ne Geschichte erzählst", sagte ich. "Ob mit deinem Akkordeon oder mit Worten, ist mir gleich." Er grinste und überlegte nicht lange. Drei Minuten später endete er, ich nickte und wollte gehen. "Warte, ich gebe dir deinen Euro wieder, wenn du mir nun eine Geschichte erzählst", sagte er und grinste dabei. Ich lachte. "Wenn deine Geschäfte auf dem Sammeln von Geschichten beruhn, bist du damit wohl erfolgreicher als mit dem Geld." Ich nahm den Euro zurück und begann meinerseits eine Geschichte zu erzählen.

Dieses Erzähler-wechsel-dich-Spielchen wiederholten wir einige Male, immer wieder wanderte der Euro von Hand zu Hand. Mit der Zeit fanden sich einige verwunderte Leute als Zuhörer ein, zwei beteiligten sich am Erzählen. So wanderte der Euro nunmehr zwischen 4 Händen hin und her. Gut eineinhalb Stunden später löste sich die Runde auf, der Straßenmusiker erhielt den Euro und ich kümmerte mich um den Einkauf. Daheim angelangt, fragte die Dame erstaunt, wo ich solange gewesen sei. Vor allem aber wunderte sie sich darüber, weshalb ich, im Gegensatz zu sonst, derart gut gelaunt und entspannt sei. Ohne große Erklärung schnappte ich sie, einen Teil des Einkaufes und wir verbrachten den Tag im verträumten Grün.

Schönen Sonntag allerseits!

Eure
Tagblatt-Redaktion





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